Die Architektin einer nationalen Bildungsplattform – Prof. Ulrike Lucke

Seit vielen Jahren ist Prof. Ulrike Lucke eine gefragte Fachexpertin, ist Vorstandsmitglied und Sprecherin zahlreicher Gremien, hält Vorträge und veröffentlicht wissenschaftliche Artikel. Seit der Corona-Pandemie ist einiges anders. Denn plötzlich gerät ein Thema ins Rampenlicht, an dem sie seit über 20 Jahren forscht, das aber in Politik und Gesellschaft davor eher als Randthema behandelt wurde: E-Learning.

Unser Gespräch findet per Zoom statt. 55 Minuten Zeit habe sie, erklärt Prof. Ulrike Lucke, danach müsse sie zum nächsten Termin, eine Konferenz. Als Professorin für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf dem Thema E-Learning und der Frage, wie die digitalen Infrastrukturen beschaffen sein müssen, um multimediales Lernen mit digitalen Geräten zu ermöglichen.

E-Learning und die verpassten Chancen

Dass nun so viel Aufmerksamkeit auf diesem Thema liegt, freut sie natürlich. Andererseits ist sie auch ein wenig enttäuscht. „Die Möglichkeiten waren früh schon gegeben. Das sind Themen, die seit Jahrzehnten diskutiert werden. Nun beginnt eine Hauruck-Digitalisierung. Das Thema wurde schlicht verschlafen“, so das ernüchternde Fazit der Informatik-Professorin. „Es hat alle etwas kalt erwischt. Die Lehrkräfte. Die Politik. Als dann 2020 plötzlich alle fit für Medien gemacht werden sollten, war das definitiv zu spät“, sagt Prof. Lucke.

Verpasste Möglichkeiten sind der Eindruck, den Prof. Lucke in den letzten Jahren immer wieder hatte. Schließlich sind digitale Anwendungen in den letzten zehn bis 15 Jahren geradezu sprunghaft angestiegen: Das Smartphone löste herkömmliche Handys ab, Social Media-Portale wuchsen, Virtual Reality wurde marktreif. Die Bildung sei aber gleichzeitig etwas stehengeblieben und hinke hinterher: „Die Tools wurden ausgetauscht, Programmiersprachen kamen und gingen. Diese Schnelllebigkeit ist nicht erschreckend, sondern Teil unseres Gebiets“, so Prof. Lucke. „An vielen Stellen ist aber wenig passiert, vor allem beim E-Learning. Ich habe erlebt, dass die Fortschritte der Forschung es überwiegend nicht in die Praxis geschafft haben. Das macht mich traurig.“ Aber so sei eben die Rolle der Wissenschaft, sagt sie und betrachtet die Situation pragmatisch: „Ich sehe die Aufgabe der Wissenschaft darin, der Gesellschaft zu zeigen, was alles möglich ist. Ich kann darlegen, welche Handlungsoptionen es gibt. Die Entscheidungen treffen andere.“

Der Aufbau einer nationalen Bildungsplattform

Dass es Zeit zu handeln ist, hat in der Pandemie nun auch die Politik erkannt. Und setzt auf Prof. Ulrike Lucke als Expertin für digitale Bildung. Sie soll ab dem 1. April das Projekt „Bildungsraum digital“, kurz BIRD, koordinieren. Ziel ist es, eine digitale Bildungsplattform aufzubauen, die sämtliche Plattformen und Dienste aus allen Bildungsbereichen bündelt und vernetzt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert. Neben der Universität Potsdam gehören unter anderem der DAAD, die TU Berlin, die GWDG Göttingen und die Universität Magdeburg zu den Akteuren des Projekts.

Ihren Ansatz erklärt Prof. Lucke wie folgt: „Wir wollen die Autonomie der einzelnen Systeme respektieren und im Hintergrund vernetzen. Das kann man gut mit einer Stadt vergleichen – jede hat ihr eigenes Netz, es gibt viele Fahrzeughersteller mit unterschiedlichen Modellen. Aber die Straßen sind das Element, das alles trägt. Ähnlich ist es bei der nationalen Bildungsplattform.“ Ihr Wunsch wäre es, dass es zum Beispiel irgendwann ganz einfach möglich sei, an einer Universität Creditpoints zu sammeln, die dann an einer anderen Universität direkt im System sind: „ganz ohne abstempeln, abtippen, woanders vorzeigen, prüfen lassen und so weiter“, so Prof. Lucke.

Eine beeindruckende Karriere an der Universität Potsdam

Mit Blick auf Ulrike Luckes einzigartige Karriere erscheint der Aufbau einer nationalen Bildungsplattform wie der logische nächste Schritt für eine unglaublich passionierte und umtriebige Wissenschaftlerin. Seit 2010 ist Ulrike Lucke nun schon Professorin an der Universität Potsdam. Seitdem hat sie viel aufgebaut und vorangebracht. Bis 2014 war sie Sprecherin der Fachgruppe E-Learning in der Gesellschaft für Informatik, war danach gewähltes Mitglied des Präsidiums und ist nun seit 2020 Vizepräsidentin. Sie war Mitglied im Vorstand der Konrad-Zuse-Gesellschaft, ist Gründungsmitglied und war bis 2021 stellvertretende Vorsitzende des Hochschul-CIO e.V., war an der Universität Potsdam acht Jahre lang Chief Information Officer und für vier Jahre geschäftsführende Leiterin des Instituts für Informatik und Computational Science.

Ihre Forschung gliedert sie in drei Schwerpunkte. „Das Erste sind klassische Lehrszenarien. Da geht es um die Frage: Wie können wir Technologie einsetzen, um Bildung zu unterstützen – sei es über Virtual Reality, Apps oder andere multimediale Anwendungen“, erklärt Prof. Lucke. Durch Corona habe die Nachfrage hiernach stark zugenommen. Der zweite Schwerpunkt sei die technologische Infrastruktur, in die die Lehrszenarien eingebettet seien: „Wer kommuniziert mit wem? Wie müssen Nutzer*innen und Daten verwaltet werden? Das betrachten wir auf einer institutionellen Ebene. Da geht es nicht um ein Klassenzimmer, sondern eine gesamte Schule oder Hochschule, auch übergreifend.“ Und dann gäbe es noch als Drittes die gesellschaftliche Komponente. Prof. Lucke: „Mit Technologien verändern wir auch Sozialstrukturen. Da geht es zum Beispiel um die Kompetenzen von Kommunen, Schüler*innen, Lehrer*innen, aber auch um ethische Fragen: Was können und was wollen wir überhaupt verändern?“.

Neue Impulse durch den Umzug in den Potsdam Science Park

Neben ihrer Arbeit am nationalen Projekt „Bildungsraum digital“, ihrer Stelle als Professorin, der Forschung und Mitarbeit in Gremien steckt Prof. Ulrike Lucke noch mitten in einem Umzug. Das komplette Institut für Informatik und Computational Science hat seit Anfang des Jahres ein neues Gebäude im Potsdam Science Park in Potsdam-Golm. Die neue Lage hat für die Informatikprofessorin viele Vorteile: „Was ich spannend finde: Wir sind umgeben von Instituten anderer Wissenschaften. Hier sitzen z. B. Chemiker*innen, Biolog*innen und Materialwissenschaftler*innen und, was für mich besonders interessant ist, die Bildungswissenschaftler*innen“, so Prof. Lucke. So hofft sie auf neue Impulse: „Wir wollen die Vielfalt bedienen. Wir wollen Brücken schlagen zu anderen Disziplinen. Die Dichte an Forschung ist im Potsdam Science Park sehr groß. Ich freue mich schon darauf, neue, spannende Leute zu treffen. Die räumliche Nähe schafft Verbindungen. Und so funktioniert Forschung: durch Vielfalt neue Wege und Möglichkeiten entdecken – das ist es, was Inspirationen schafft und Wissenschaft fruchtbar macht.“

Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.

Foto 1: Prof. Dr. Ulrike Lucke © Ernst Kaszynski

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