Dr. Matthias Hartlieb ©Universität Potsdam/Kevin Ryl

»Unser Ziel ist es, eine Alternative zu Antibiotika zu entwickeln« – Matthias Hartlieb forscht an synthetischen Polymeren für biomedizinische Anwendungen

Dr. Matthias Hartlieb hat antibiotikaresistenten Keimen den Kampf angesagt und erforscht gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen, wie die Eigenschaften von Polymeren deren antibakterielle Wirkung beeinflussen. Seit 2021 leitet er die diesem Thema gewidmete Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Polymere Biomaterialien“ am Institut für Chemie.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die rasante Entwicklung antibiotikaresistenter Keime zu den zehn größten globalen Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. „Bakterien und Pilze tragen schon seit Urzeiten Resistenzgene in sich“, erklärt Matthias Hartlieb. „Allerdings schaffen wir durch den häufigen Einsatz von Antibiotika eine Umgebung, in der hauptsächlich resistente Bakterien überleben und sich somit besser verbreiten können.“ Sie treten vor allem dort auf, wo viele Antibiotika eingesetzt werden – etwa in Krankenhäusern oder der Tierhaltung – und gelangen über das Abwasser in die Umwelt. Jährlich sterben weltweit über 1,2 Millionen Menschen an antibiotikaresistenten Keimen. Ein erhöhtes Risiko für Infektionen haben insbesondere Menschen mit einem schwachen Immunsystem, solche, die Transplantate haben, Krebspatienten während einer Chemotherapie oder Patienten, bei denen eine Operation durchgeführt wird.

Flaschenbürsten-Polymere als Antibiotika

„Unsere Vision ist es, synthetische, wasserlösliche Polymere zu entwickeln, die man in der Therapie bakterieller Infektionen im menschlichen Körper so einsetzen kann, wie wir jetzt Antibiotika nutzen – beispielsweise als Tablette oder Injektion“, sagt Hartlieb. Da diese Polymere die bakterielle Membran angreifen, können Bakterien kaum Resistenzen gegen sie entwickeln. „Sie besitzen Eigenschaften, die auch in antimikrobiellen Peptiden vorkommen, welche unser Immunsystem verwendet, um Bakterien zu regulieren und abzuwehren“, ergänzt er. Die Peptide bzw. Polymere tragen positive Ladungen und können sich an die Zellmembran der Bakterien anlagern, die negativ geladen ist.

Polymere sind lange Molekülketten, die aus vielen gleichartigen Teilen bestehen und uns zum Beispiel als Kunststoffe, wie Polyester oder Polyethylen, bekannt sind. In der Natur kommen sie unter anderem als Kohlenhydrate wie Zellulose und Stärke in Pflanzen oder als Proteine in Zellen vor. Als einfache lange Molekülketten erzeugen die Polymere aus Hartliebs Labor jedoch keine nennenswerte Wirkung an bakteriellen Zellmembranen. Um ihre antibakterielle Wirkung so zu verbessern, dass sie in der Therapie eingesetzt werden können, ist noch viel Grundlagenforschung nötig. „Wir arbeiten mit sogenannten Flaschenbürsten-Polymeren, von denen jede einzelne Borste ein Polymer darstellt“, beschreibt der Forscher. Bei dieser speziellen Architektur sind viele Polymere auf kleinem Raum gebündelt und können dadurch die Membran des Bakteriums effektiver angreifen.

Aktivität und Selektivität der Polymere entscheidend

Ein wesentliches Ergebnis der ersten Förderphase ist, dass die Struktur der verwendeten Polymere ihre Bioaktivität und Selektivität sehr stark beeinflusst. Die Aktivität beziffert die antimikrobielle Wirkung des Polymers, während die Selektivität ein Messwert dafür ist, wie gut es zwischen Bakterien und Körperzellen unterscheiden kann. Bei einem konventionellen Antibiotikum ist die Selektivität sehr hoch. „Da wollen wir hinkommen“, betont Matthias Hartlieb. Dazu testen die Forschenden systematisch verschiedene Längen und Formen der Bürstenpolymere. Bei den bakteriellen Tests kooperiert die Gruppe mit den Fraunhofer-Instituten für Zelltherapie und Immunologie (IZI-BB) und für Angewandte Polymerforschung (IAP) in Golm. Zunächst wollen Hartlieb und sein Team herausfinden, wieviel Polymer man benötigt, um das Wachstum der Bakterien aufzuhalten. Dabei gilt: Je weniger, desto besser. „Wir haben die Architektur der Bürstenpolymere variiert, bis wir ein optimales Seitenverhältnis der Bürsten gefunden hatten“, beschreibt er. Damit ließ sich die Selektivität von ursprünglich 32 auf einen Wert von 640 steigern, was bedeutet, dass das Polymer 640-mal wirksamer gegen Bakterien ist als gegen Körperzellen. „Es ist aber noch mehr drin“, ist sich der Chemiker sicher.

In Zusammenarbeit mit der Charité Berlin sollen die antibakteriellen Polymere aus dem Potsdamer Labor bald in Tierversuchen getestet werden. „Ein weiterer Schwerpunkt im zweiten Förderabschnitt werden Biofilme sein, die sich auf Wunden oder Implantaten bilden können – dort sind Bakterien schwerer zu bekämpfen“, fasst Matthias Hartlieb zusammen. Die vielversprechenden Resultate aus der ersten Förderphase bilden eine gute Voraussetzung für weitere Schritte auf dem Weg zur Antibiotika-Alternative.

Lesen Sie den vollständigen Artikel hier auf der Website der Universität Potsdam.

 

Dieser Artikel erschien im „Portal Wissen: Das Forschungsmagazin der Universität Potsdam“ Ausgabe zwei 2024.
Text : Dr. Stefanie Mikulla | ©Foto: Universität Potsdam/Kevin Ryl

Dr. Matthias Hartlieb (links) und Alain Bapolisi (rechts) im Labor ©Universität Potsdam/Kevin Ryl
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