„Ich will mich nicht damit zufriedengeben, dass die Forschung mit der Publikation beendet ist: Ich möchte einen Impact.“

Seine Forschung wurde in über 550 Artikeln publiziert, seine Arbeit mit mehr als 35 Preisen ausgezeichnet. Zweifellos gehört Prof. Dr. Peter H. Seeberger zu den herausragendsten Chemikern Deutschlands. Ein Interview mit dem Mann, der seit 2009 die Abteilung „Biomolekulare Systeme“ am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung leitet.

Herr Prof. Seeberger, Sie wurden weltweit bekannt durch das Thema „Impfstoffe aus Zucker“. Wie kommt man als Chemiker auf die Idee, sich mit diesem Thema zu befassen?

Ich hatte Chemie in Nürnberg studiert und ging in die USA, um mich mit dem Thema Biochemie zu beschäftigen. Dort konnte ich promovieren und habe die Chance genutzt. Mein Chef war der Mann, der die automatisierte DNA-Synthese erfunden hat. Er hatte also den Bereich DNA abgedeckt, jemand anderes die Eiweißstoffe – übrig blieb der Zucker beziehungsweise Kohlenhydrate, wie wir sie nennen. Und weil achtzig Prozent der Biomasse von Zucker umgeben sind, habe ich mir gedacht: Ich mache Zucker.

Mit Zucker sagen Sie Bakterien und Keimen den Kampf an. Was treibt Sie da an?

In den USA hatte ich gelernt: Wenn wir als Chemiker gute Grundlagenforschung machen, können wir der Biologie und Medizin helfen und die Gesundheit von Menschen verbessern. So kam eines zum anderen. Was viele nicht wissen, ist, dass wir selbst von Zucker umgeben sind. Fast alle unsere Zellen sind von einem Zuckermantel umgeben. Das gilt auch für Bakterien: Auch sie haben Zuckerketten auf der Oberfläche. Und wenn wir verstehen, wie diese Zucker aufgebaut sind und funktionieren, kann die Industrie darauf basierend Impfstoffe herstellen. Wir machen zwar Grundlagenforschung, aber wir verschließen die Augen nicht vor den Anwendungsmöglichkeiten. Ich will mich nicht damit zufriedengeben, dass die Forschung mit der Publikation beendet ist: Ich möchte einen Impact.

Bei Ihren Vorträgen haben Sie auch gerne mal Kuscheltiere wie den Streptococcus Pneumoniae (Bakterium Pneumokokken) oder Clostridioides difficile (Krankenhauskeim) dabei, um den Zuschauern Bakterien oder Keime vorzustellen. Wie wichtig ist es Ihnen, Wissenschaft anschaulich zu vermitteln?

Es ist ein Aspekt, der mir extrem wichtig ist. Auch das habe ich in den USA gelernt. Dort hat die Kommunikation der Wissenschaft eine größere Bedeutung als bei uns in Deutschland. Und als Max-Planck-Institut sind wir abhängig vom Steuerzahler. Darum sehe ich es als meine Pflicht an, den Menschen zu vermitteln, was mit diesen Steuergeldern passiert. Wenn die Leute den Eindruck haben, dass sich Grundlagenforschung lohnt, dass das etwas Wichtiges ist, dann habe ich meinen Job gut gemacht. Ich versuche es also so zu verpacken, dass die Zuhörer und Zuhörerinnen verstehen, worüber ich rede und nicht nach drei Minuten abschalten. Und der Streptococcus ist wirklich ein übles Ding, an dem jährlich über zwei Millionen Menschen sterben.

Was sind aus Ihrer Sicht die derzeit wichtigsten Forschungsprojekte am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung?

An unserem Institut arbeiten rund 400 Menschen, dementsprechend sind wir sehr breit aufgestellt. Wir forschen in vielen Bereichen, von den Molekülen hin bis zu den Materialien. Spannend finde ich den Bereich der Materialien, die bioinspiriert sind. Das heißt, mein Kollege Peter Fratzl und seine Abteilung lernen hier von der Natur, etwa von Pflanzen oder Spinnen, und ahmen sie nach. Das geht dann hin bis zu Anwendungen, bei denen wir an einer Revolution der Materialchemie arbeiten. Mein Kollege Markus Antonietti forscht zum Beispiel daran, mit sehr heißem Wasser Pflanzenmaterialien aufzulösen und daraus am Ende Dünger oder hochwertige Materialien herzustellen. Materialien, die härter sind als Stahl. Und das aus einem Ausgangsstoff wie Cellulose. Das sind unsere Themen und noch vieles mehr.

Sie haben in Nürnberg studiert, waren unter anderem an der University of Colorado Boulder, in New York, Professor am MIT und Professor an der ETH Zürich. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an der Forschungssituation in Potsdam-Golm?

Die Nähe zur Hauptstadtregion ist natürlich ein riesiger Pluspunkt. So finden wir einen guten Pool an Mitarbeiter*innen. 75 Prozent unserer Mitarbeiter*innen kommen aus dem Ausland. Der Potsdam Science Park hier in Potsdam-Golm hat dabei für jeden das passende Angebot, eine Mischung aus ländlich und urban. Wir haben sechs Universitäten in der Nähe, die Universität Potsdam und vier Universitäten in Berlin. Dann gibt es hier in der Hauptstadtregion 75 außeruniversitäre Einrichtungen, also genügend Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Es gibt viel Platz für Firmengründungen, von denen ich selbst auch profitiere. Das hatte ich auch am MIT gesehen, wie sehr Ausgründungen helfen, einen Campus aufzubauen und wie Forschung das Umfeld hervorhebt. Der Potsdam Science Park ist einfach eine gute Location.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Job als Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung?

Ich habe den besten Job der Welt. Wirklich: Das Max-Planck-Institut als Arbeitgeber ist fantastisch. Wir können die Institute so aufstellen, wie wir das wollen. Wir haben deshalb alles sehr effizient organisiert und sehr schlank gehalten. Darum kann ich auch selbst noch forschen und leite zwei Arbeitsgruppen. Ich schreibe auch selbst meine Artikel. Tagsüber bin ich am Campus und von 20:30 Uhr bis 23:00 Uhr schreibe ich noch etwas. Das ist mir auch wichtig. Ich möchte Forschung machen. Das ist meine Stärke, meine Passion.

2007 haben Sie den renommierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten, 2008 wurde vom ZDF eine Dokumentation über Sie gedreht. 2018 folgte der Ernst-Hellmut-Vits-Preis, 2020 Emil-Fischer-Medaille für organische Chemie: Was wollen Sie in Zukunft noch erreichen?

Mich treibt das Neue an. Ich will Neues erforschen. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren noch die Grundlagenforschung für eine Sache schaffen, aus der dann ein Impfstoff entsteht, dann bin ich glücklich. Das nächste große Thema sind Materialien aus Polysacchariden, langkettigen Zuckern. Das sind Materialien aus der Tiefsee, also meist Algen. Darüber ist materialmäßig sehr wenig bekannt. Wenn wir das verstehen, verstehen wir, wie extrem viel CO2 fixiert wird. Das wird ein großes Zukunftsthema. Mein Wunschtraum: dass wir alles oder sehr vieles durch nachwachsende Rohstoffe abdecken. Ich stelle mir vor, dass es irgendwann, basierend auf nachwachsenden Rohstoffen, Materialien geben wird, die wir als Werkstoffe einsetzen können: Cellulose, die härter ist als Stahl. Dann könnten wir aus dem Rohstoff Holz Materialien gewinnen, die so fest und robust sind, dass sie im Bau den Stahl ersetzen. Ich wünsche mir eine grüne Wirtschaft, die von Chemiker*innen vorangetrieben werden kann. Da ist eine unfassbare Wertschöpfung möglich, mit der wir viel gegen den Klimawandel tun können. Das sind meine Vorhaben für die nächsten 15 Jahre. Da freue ich mich schon drauf.

Herr Prof. Dr. Seeberger, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Titelfoto: Prof. Seeberger © Martin Jehnichen

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