Mit neuen Ohren dem Universum lauschen — Dr. Kenta Kiuchi über seine Arbeit

Seit 2019 ist Dr. Kenta Kiuchi Gruppenleiter in der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) im Potsdam Science Park. Mithilfe komplexer Simulationen hilft er dabei, die Gravitationswellen kollidierender Neutronen-Sterne zu messen – und dem Universum so mit ‚neuen Ohren‘ zu lauschen.

Die Frage, warum er Gravitationswellen erforscht, beantwortet Dr. Kenta Kiuchi mit einer Anekdote aus seiner Studienzeit. Damals sei ihm ein Buch zu dem Thema untergekommen: „Zu dieser Zeit war die direkte Beobachtung von Gravitationswellen, also Wellen in der Raumzeit, die durch bewegte Massen ausgelöst werden, noch ein Traum“, betont er: „Einstein hatte sie mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie schon 1916 vorhergesagt, doch nachgewiesen waren sie noch nicht. Das Buch verglich ihren Nachweis mit der Entwicklung eines neuen Sinnesorgans. Man könne dem Universum dann mit ‚neuen Ohren‘ lauschen. Dieses Bild begleitet mich bis heute.“

Krümmungen in der Raumzeit

2015 wurden Gravitationswellen experimentell durch Forschende am Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium (kurz LIGO) nachgewiesen. Spätestens seitdem sind sie auch einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff. Trotzdem verstehen weiterhin nur Wenige, worum es sich dabei handelt. Um Gravitationswellen im Ansatz zu begreifen, müssen Nichtphysiker*innen häufig Metaphern bemühen. Dr. Kiuchi, der als Gruppenleiter in der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) im Potsdam Science Park arbeitet, wagt eine Erklärung: „Nach Einstein ist das Raum-Zeit-Kontinuum elastisch. Durch jedes Objekt in ihm, Menschen genauso wie Planeten, wird es verformt.“ Das könne man sich in etwa so vorstellen, wie eine Billard-Kugel, die auf ein zwischen Pfosten gespanntes Laken gelegt wird und dieses mit ihrer Masse eindrückt, so Kenta Kiuchi: „Diese Verformungen oder besser Krümmungen in der Raumzeit sind das, was wir Gravitation nennen.“ Wenn Objekte sich durch den Raum bewegen, verursachen sie so Stauchungen und Streckungen des Raums. „Wie Wellen im Wasser – Gravitationswellen eben“, beschreibt er es.

Und gerade, weil Gravitationswellen die Raumzeit selbst beeinflussen, seien sie laut Kiuchi auch so schwer nachzuweisen: „Gravitationswellen lassen sich nicht einfach im Raum messen, weil ihre Signale extrem schwach sind.“ Was allerdings funktioniere, sei, Licht durch den Raum zu schicken. Wenn ausreichend starke Gravitationswellen durch seinen Pfad wanderten, verlängere oder verkürze das den Weg, den das Licht zurücklegen müsse. Dieser Unterschied lasse sich messen und Gravitationswellen so nachweisen. Und genau dieser Nachweis sei dem LIGO-Team mit den 3-Kilometer-langen Detektoren gelungen.

Aus dem All zur Erde. Von der Forschung zur Anwendung.

Spannende Zeiten also für Herrn Kiuchi. Am Albert-Einstein-Institut simuliert er Neutronenstern-Kollisionen, eine wichtige Quelle für Gravitationswellen. „Der Radius von Neutronensternen ist relativ klein, nur etwa zehn Kilometer, doch ihre Masse entspricht der einer Sonne“, erklärt er: „Wenn zwei so kompakte Objekte kollidieren, sind Gravitationswellen unvermeidlich.“ Weil diese Kollisionen weit entfernt von der Erde, im Weltall, geschehen, sind die Signale dieser Wellen relativ schwach, wenn sie bei uns ankommen und verstecken sich „im Rauschen der Daten“, wie Dr. Kiuchi es ausdrückt. Darum brauche es Simulationen: Um Gravitationswellen zu entdecken, identifizieren Wissenschaftler*innen ihre Quelle und filtern aus den gemessenen Daten Informationen wie Masse und Entfernung heraus. Dafür benötigen sie „Schablonen“ der Wellen, die Gravitationswellenformen. Dr. Kiuchi und sein Team modellieren bekannte Kollisionen, um solche Wellenformen vorherzusagen.

Kenta Kiuchis Arbeit ist klassische Grundlagenforschung. Im Potsdam Science Park, wo auch Forschung und Praxis zusammenfinden sollen, fühlt er sich dabei gut aufgehoben. Um einen Beitrag zu leisten, komme es oft nicht so sehr darauf an, bei der Entwicklung einer konkreten Lösung oder eines Produkts dabei zu sein. Wichtig sei, Erkenntnisse zu produzieren, auf denen andere aufbauen können – um damit später vielleicht etwas Neues zu schaffen. Auch hier kann er auf den Namensgeber seines Instituts, Albert Einstein, verweisen: „Als Einstein an seiner allgemeinen Relativitätstheorie arbeitete, hat er das sicher aus reiner wissenschaftlicher Neugier getan“, so Dr. Kiuchi: „Ganz sicher hat er nicht daran gedacht, dass wir auf ihrer Basis einmal in der Lage sein würden, GPS-Geräte für den Straßenverkehr zu entwickeln. Trotzdem ist genau das geschehen. Ohne seine historischen Erkenntnisse wäre die Erfindung dieser Technologie nicht möglich gewesen.“

Dynamische Metropolregion mit Raum für Forschung

Der Wechsel von Japan nach Deutschland sei seiner Familie und ihm nicht schwer gefallen, erklärt er. Die Metropolregion Berlin-Brandenburg habe internationalen Forschenden und ihren Angehörigen, bei denen oft die Arbeit den Wohnort bestimme, einiges zu bieten. Auch seine Frau, die für ein großes japanisches Medium als Auslandskorrespondentin arbeitet, profitiere in ihrer Karriere so in gewisser Weise indirekt von der günstigen Lage des Potsdam Science Park in der Hauptstadtregion.

Für Kenta Kiuchi selbst sei es vor allem die wissenschaftsorientierte Atmosphäre am Max-Planck-Institut, die viel zur Qualität seiner Arbeit beitrage. „An einer japanischen Universität müsste ich mich stark der Lehre widmen. Das ist eine wichtige und ehrbare Aufgabe. Doch in meinem Bereich ist der Fokus auf die Forschung notwendig“, sagt er: „Hier habe ich die Freiheit, das zu tun. Das weiß ich zu schätzen.“ Er und sein Team werden also auch weiterhin ihr neugefundenes Ohr für das Universum offenhalten.

Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.

Bildnachweis: Dr. Kenta Kiuchi (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik) © Standortmanagement Golm GmbH, Karen Esser

Seit 2019 ist Dr. Kenta Kiuchi Gruppenleiter in der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) im Potsdam Science Park. Mithilfe komplexer Simulationen hilft er dabei, die Gravitationswellen kollidierender Neutronen-Sterne zu messen – und dem Universum so mit ‚neuen Ohren‘ zu lauschen.

Die Frage, warum er Gravitationswellen erforscht, beantwortet Dr. Kenta Kiuchi mit einer Anekdote aus seiner Studienzeit. Damals sei ihm ein Buch zu dem Thema untergekommen: „Zu dieser Zeit war die direkte Beobachtung von Gravitationswellen, also Wellen in der Raumzeit, die durch bewegte Massen ausgelöst werden, noch ein Traum“, betont er: „Einstein hatte sie mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie schon 1916 vorhergesagt, doch nachgewiesen waren sie noch nicht. Das Buch verglich ihren Nachweis mit der Entwicklung eines neuen Sinnesorgans. Man könne dem Universum dann mit ‚neuen Ohren‘ lauschen. Dieses Bild begleitet mich bis heute.“

Krümmungen in der Raumzeit

2015 wurden Gravitationswellen experimentell durch Forschende am Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium (kurz LIGO) nachgewiesen. Spätestens seitdem sind sie auch einer breiten Öffentlichkeit ein Begriff. Trotzdem verstehen weiterhin nur Wenige, worum es sich dabei handelt. Um Gravitationswellen im Ansatz zu begreifen, müssen Nichtphysiker*innen häufig Metaphern bemühen. Dr. Kiuchi, der als Gruppenleiter in der Abteilung Numerische und Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) im Potsdam Science Park arbeitet, wagt eine Erklärung: „Nach Einstein ist das Raum-Zeit-Kontinuum elastisch. Durch jedes Objekt in ihm, Menschen genauso wie Planeten, wird es verformt.“ Das könne man sich in etwa so vorstellen, wie eine Billard-Kugel, die auf ein zwischen Pfosten gespanntes Laken gelegt wird und dieses mit ihrer Masse eindrückt, so Kenta Kiuchi: „Diese Verformungen oder besser Krümmungen in der Raumzeit sind das, was wir Gravitation nennen.“ Wenn Objekte sich durch den Raum bewegen, verursachen sie so Stauchungen und Streckungen des Raums. „Wie Wellen im Wasser – Gravitationswellen eben“, beschreibt er es.

Und gerade, weil Gravitationswellen die Raumzeit selbst beeinflussen, seien sie laut Kiuchi auch so schwer nachzuweisen: „Gravitationswellen lassen sich nicht einfach im Raum messen, weil ihre Signale extrem schwach sind.“ Was allerdings funktioniere, sei, Licht durch den Raum zu schicken. Wenn ausreichend starke Gravitationswellen durch seinen Pfad wanderten, verlängere oder verkürze das den Weg, den das Licht zurücklegen müsse. Dieser Unterschied lasse sich messen und Gravitationswellen so nachweisen. Und genau dieser Nachweis sei dem LIGO-Team mit den 3-Kilometer-langen Detektoren gelungen.

Aus dem All zur Erde. Von der Forschung zur Anwendung.

Spannende Zeiten also für Herrn Kiuchi. Am Albert-Einstein-Institut simuliert er Neutronenstern-Kollisionen, eine wichtige Quelle für Gravitationswellen. „Der Radius von Neutronensternen ist relativ klein, nur etwa zehn Kilometer, doch ihre Masse entspricht der einer Sonne“, erklärt er: „Wenn zwei so kompakte Objekte kollidieren, sind Gravitationswellen unvermeidlich.“ Weil diese Kollisionen weit entfernt von der Erde, im Weltall, geschehen, sind die Signale dieser Wellen relativ schwach, wenn sie bei uns ankommen und verstecken sich „im Rauschen der Daten“, wie Dr. Kiuchi es ausdrückt. Darum brauche es Simulationen: Um Gravitationswellen zu entdecken, identifizieren Wissenschaftler*innen ihre Quelle und filtern aus den gemessenen Daten Informationen wie Masse und Entfernung heraus. Dafür benötigen sie „Schablonen“ der Wellen, die Gravitationswellenformen. Dr. Kiuchi und sein Team modellieren bekannte Kollisionen, um solche Wellenformen vorherzusagen.

Kenta Kiuchis Arbeit ist klassische Grundlagenforschung. Im Potsdam Science Park, wo auch Forschung und Praxis zusammenfinden sollen, fühlt er sich dabei gut aufgehoben. Um einen Beitrag zu leisten, komme es oft nicht so sehr darauf an, bei der Entwicklung einer konkreten Lösung oder eines Produkts dabei zu sein. Wichtig sei, Erkenntnisse zu produzieren, auf denen andere aufbauen können – um damit später vielleicht etwas Neues zu schaffen. Auch hier kann er auf den Namensgeber seines Instituts, Albert Einstein, verweisen: „Als Einstein an seiner allgemeinen Relativitätstheorie arbeitete, hat er das sicher aus reiner wissenschaftlicher Neugier getan“, so Dr. Kiuchi: „Ganz sicher hat er nicht daran gedacht, dass wir auf ihrer Basis einmal in der Lage sein würden, GPS-Geräte für den Straßenverkehr zu entwickeln. Trotzdem ist genau das geschehen. Ohne seine historischen Erkenntnisse wäre die Erfindung dieser Technologie nicht möglich gewesen.“

Dynamische Metropolregion mit Raum für Forschung

Der Wechsel von Japan nach Deutschland sei seiner Familie und ihm nicht schwer gefallen, erklärt er. Die Metropolregion Berlin-Brandenburg habe internationalen Forschenden und ihren Angehörigen, bei denen oft die Arbeit den Wohnort bestimme, einiges zu bieten. Auch seine Frau, die für ein großes japanisches Medium als Auslandskorrespondentin arbeitet, profitiere in ihrer Karriere so in gewisser Weise indirekt von der günstigen Lage des Potsdam Science Park in der Hauptstadtregion.

Für Kenta Kiuchi selbst sei es vor allem die wissenschaftsorientierte Atmosphäre am Max-Planck-Institut, die viel zur Qualität seiner Arbeit beitrage. „An einer japanischen Universität müsste ich mich stark der Lehre widmen. Das ist eine wichtige und ehrbare Aufgabe. Doch in meinem Bereich ist der Fokus auf die Forschung notwendig“, sagt er: „Hier habe ich die Freiheit, das zu tun. Das weiß ich zu schätzen.“ Er und sein Team werden also auch weiterhin ihr neugefundenes Ohr für das Universum offenhalten.

Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.

Bildnachweis: Dr. Kenta Kiuchi (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik) © Standortmanagement Golm GmbH, Karen Esser

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