„Die Konzentration von so viel akademischem Potenzial an einem Ort ist herausragend“ – Interview mit Prof. Claudia Köhler

Das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) im Potsdam Science Park gilt als eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen weltweit. Seit Februar 2021 verstärkt Prof. Dr. Claudia Köhler die Führungsebene des Instituts. Als Direktorin der Abteilung Reproduktionsbiologie und Epigenetik leitet sie die Abteilung und etabliert einen komplett neuen Forschungsbereich am MPI-MP. Im Gespräch erklärt sie, wie Veränderungen der Genaktivitäten bei Pflanzen möglich sind, ohne die DNA selbst zu modifizieren, warum sie die Gesetzgebung als ausbaufähig betrachtet und welche Potenziale sie im Potsdam Science Park sieht.

Sehr geehrte Frau Prof. Köhler, seit Februar 2021 sind Sie Direktorin des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie. Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke vom Institut und vom Standort?

2019 war ich zum ersten Mal im Potsdam Science Park. Da liefen die Vorgespräche zu meiner Stelle als Direktorin. Was mich dabei für den Standort einnahm, ist das geballt vorhandene akademische Potential. Mit drei Max-Planck- und zwei Fraunhofer-Instituten und der Universität Potsdam direkt nebenan ist der Standort sehr attraktiv. Auch das Gebäude des Max-Planck-Instituts hat mir sofort gut gefallen – es ist modern, schön gelegen und hat eine ausgezeichnete Infrastruktur. Mein erster Eindruck war also sehr positiv.

Sie sind angetreten, um die neue Abteilung Reproduktionsbiologie und Epigenetik am Institut aufzubauen. Was genau beinhaltet dieser Forschungsbereich?

In der Epigenetik untersuchen wir vererbbare Veränderungen von Eigenschaften, die ohne Veränderungen der DNA-Sequenz entstehen. Das passiert durch chemische Veränderungen entweder direkt an der DNA oder an den Proteinen, die die DNA binden. Bei spontanen Genmutationen, wie man sie in der Schule kennenlernt, ist das anders: Dabei wird die DNA-Sequenz verändert, was ebenfalls zu einer Veränderung der Eigenschaften führt. Wir schauen hingegen: Welche Eigenschaften werden durch epigenetische Prozesse an die nächste Generation weitergegeben und ausgeprägt und welche nicht. Dies kann man mittels bestimmter molekularer Techniken herausfinden, welche die chemischen Veränderungen an der DNA oder den Proteinen sichtbar machen. So kann man herausfinden, wo die Modifikationen sitzen, und später abgleichen, welche Modifikation zu welcher Veränderung im pflanzlichen Organismus führt.

Wenn es in der Landwirtschaft um genetische Veränderungen geht, sind die Regularien in der EU streng. Zudem sind Verbraucher:innen hierzulande sehr skeptisch gegenüber solchen Möglichkeiten. Wie bewerten sie diese Rahmenbedingungen für die Forschung?

Meine Forschung betrifft dieser kritische Blick nicht direkt. Ich betreibe Grundlagenforschung und schaue mir erst einmal nur an, wie sich Pflanzen vermehren und welche molekularen Prozesse die Reproduktion steuern. Trotzdem stoßen wir dabei gelegentlich auf Dinge, die für die genetische Veränderung von Lebensmitteln sehr hilfreich wären. Die Gesetzeslage hindert uns aktuell gewissermaßen daran, diese Erkenntnisse in die Praxis zu überführen. Ich persönlich hoffe sehr, dass sich daran bald etwas ändert. Denn wenn wir eine Pflanze epigenetisch verändern, ohne dass sie eine Veränderung an der DNA-Sequenz aufweist, gilt sie trotzdem als genetisch veränderter Organismus. Daher könnte man sie auch nicht verwenden. Aber genau das ist widersinnig: Schaut man sich unsere aktuellen Probleme an, sollten wir das dringend ändern. Durch den Klimawandel sind viele unserer Kulturpflanzen nicht mehr an Wetterextreme wie Überflutungen oder Dürreperioden angepasst.

Welche Vorteile sehen Sie in größeren Spielräumen für Epigenetik und genetische Veränderungen?

Wir könnten Pflanzen dank neuer wissenschaftlicher Methoden mittlerweile angepasster züchten. Und zwar viel schneller und kostengünstiger als mit konventionellen Methoden. Eigentlich haben wir die Technik dazu, nutzen sie aber nicht. Das ergibt ökonomisch als auch ökologisch wenig Sinn, denn mittels neuer Methoden könnte man in kürzerer Zeit besser angepasste Nutzpflanzen züchten, was z.B. den Einsatz künstlicher Bewässerung oder von Pestiziden deutlich verringern würde. Denn fast alle unsere Lebensmittel basieren auf Züchtungen, und Züchtungen sind wissenschaftlich betrachtet nichts anderes als das Resultat menschlicher Selektion auf bestimmte Eigenschaften, die durch spontane Mutationen entstanden sind. Hier bedarf es noch viel Aufklärungsarbeit, denn eine Mutation in der Natur, die spontan erfolgt, ist nicht besser als eine, die zielgerichtet entsteht. Ich wünsche mir, dass man nicht mehr auf die Technik, sondern auf das Endergebnis schaut. Ich nehme die Bedenken der Menschen gegenüber neuen Techniken natürlich ernst, hoffe aber, dass man diese durch bessere Aufklärung abbauen kann.

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Abteilung in den nächsten Jahren? Welchen Anspruch haben Sie an sich und Ihre Abteilung?

Wissenschaftlich interessiert mich vor allem die Frage, wie die Entwicklung des pflanzlichen Nährgewebes im Samen – das Endosperm – gesteuert wird. Einen Großteil unserer täglichen Kalorien nehmen wir nämlich über das Endosperm zu uns, denn es ist der Hauptbestandteil zum Beispiel von Brot, Reis, oder Cornflakes. Daher ist es natürlich von großem wissenschaftlichem als auch anwendungsorientiertem Interesse zu verstehen, wie dieses Gewebe gebildet wird. Neben dieser wichtigen Frage interessiert mich auch, welche Rolle das Endosperm für die Kreuzung von verwandten Pflanzenarten spielt, da es interessanterweise eine Kreuzungsbarriere bildet. Unser Ziel ist es somit herauszufinden, wie diese Barrieren im Endosperm entstehen und wie man sie möglicherweise gezielt abbauen kann. Kreuzungsbarrieren grenzen Arten voneinander ab und verhindern, dass Hybridformen entstehen. Allerdings ist die Bildung von Hybriden ein sehr wichtiges und somit erwünschtes Züchtungsziel. Unsere Forschung konnte zeigen, dass diese Hybridisierungsbarrieren eine epigenetische Basis haben, und wir versuchen herauszufinden, wie man durch gezielte epigenetische Veränderungen diese Barrieren abbauen kann. Das ist auch von großem Interesse für die Züchtungsindustrie und letztlich für die Verbraucher:innen, denn so könnten Lebensmittel besser und günstiger produziert werden.

Die Max-Planck-Institute gelten als sehr offene Forschungseinrichtungen mit einigen Gestaltungsspielräumen. Wie empfinden Sie die Arbeit dort?

Ich schätze das enorme Vertrauen, das einem von der Max-Planck-Gesellschaft geschenkt wird. Man bekommt erhebliche Ressourcen und kann damit sehr frei forschen. Das ist einzigartig. In vielen anderen Institutionen läuft das anders. Bevor Forschungsprojekte starten können, müssen erst sehr aufwendige Projektanträge geschrieben werden, die häufig aufgrund finanzieller Engpässe nicht genehmigt werden, obwohl die Vorhaben sehr gut sind. Hier am Institut hingegen bekomme ich großzügige finanzielle Mittel zu Verfügung gestellt, um neue Projekte ohne vorherige Begutachtung durchzuführen, das ist großartig. Das ist, denke ich, auch einer der wichtigsten Gründe für die große Innovationskraft der Max-Planck-Institute: Man vertraut den Wissenschaftlern, dass sie die richtigen Fragen haben und die Mittel zielgerichtet einsetzen, um diese zu beantworten.

Was treibt Sie an?

Neugier und die Freude, offene Fragen zu beantworten. Es ist ein bisschen, wie einen Thriller lesen: Man stellt Vermutungen an und freut sich, wenn man richtig liegt. Genauso muss man natürlich damit rechnen, dass die Vermutung falsch war und darf sich davon nicht entmutigen lassen. Ich empfinde es als hohes Privileg, dass ich mir spannende wissenschaftliche Fragen suchen kann und die Möglichkeit habe, sie zu beantworten. Und ich würde gerne sehen, dass das, was ich erforsche, auch Anwendung findet und damit positiv zur Gesellschaftsentwicklung beitragen kann. Wissenschaft wird zwar an den publizierten Erkenntnissen gemessen, weniger an der Anwendung. Trotzdem möchte ich mit meiner Arbeit dazu beitragen.

Sie haben Ihre akademische Laufbahn in Halle begonnen, in Freiburg promoviert und dann einige Jahre in Zürich gearbeitet, bevor sie 2010 als Professorin nach Uppsala (Schweden) gegangen sind. Nun sind Sie Mitglied der wissenschaftlichen Community im des Potsdam Science Park. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dem Standort?

Wie schon zu Anfang erwähnt, ist die Konzentration von so viel akademischen Potenzial an einem Ort herausragend. Allerdings ist es auch eine Herausforderung, dieses Potenzial wirklich zu nutzen. Vor allem corona- als auch zeitbedingt konnte ich die Möglichkeiten noch nicht wirklich ausschöpfen. Aber ich hoffe, dass ich in Zukunft mein Netzwerk hier ausbauen und weitere kollaborative Projekte planen kann – am besten irgendwann nicht mehr im Zoom-Meeting, sondern persönlich.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Arbeit und für die Zukunft des Standorts?

Die Arbeit lebt davon, gute und motivierte Mitarbeiter:innen zu haben und ich habe das Privileg, mit einem sehr motivierten Team zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass wir im Team weiterhin Freude an der Forschung haben, spannende Ergebnisse finden, und auch die entsprechende internationale Anerkennung dafür erhalten. Für den Standort wünsche ich mir, dass das Institut international als erstklassige Adresse wahrgenommen wird. Es gibt hier exzellente Forschung und erstklassige Möglichkeiten, Forschung zu betreiben. Letztlich ist Wissenschaft ein hartes Geschäft, und man konkurriert mit Instituten weltweit um die klügsten Köpfe. Wir wollen mit unserem Standort weiterhin an vorderster Front bleiben – und dafür die besten Leute gewinnen. Die Voraussetzungen haben wir, und das müssen wir nutzen.

Frau Prof. Köhler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.

Bildnachweis: Prof. Claudia Köhler © Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie/sevens[+]maltry

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