Schneealgen – Die unbekannte Ressource für Verjüngungskuren und Omega-3-Fettsäuren
Schnee- und Permafrostalgen sind seit über 20 Jahren das Spezialgebiet von Dr. Thomas Leya vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Institutsteil Bioanalytik & Bioprozesse (IZI-BB) im Potsdam Science Park. Sie enthalten viele Enzyme, Antioxidantien und Nährstoffe, die für Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika genutzt werden. Aber ihr Potenzial ist weit größer. Für seine Forschung unternahm der gebürtige Schleswig-Holsteiner unter anderem Expeditionen nach Spitzbergen und musste so manchem Eisbären aus dem Weg gehen.
Wir schreiben das Jahr 1992. Es war Zuneigung auf den ersten Blick. Er war ein junger Biologiestudent aus Deutschland. Sie lebte in Australien, war eine einsame Schönheit und tänzelte unterm Wasser am Rande eines Korallenriffs. Sofort war der junge Wissenschaftler begeistert, aber auch gleichzeitig besorgt um ihr Wohlbefinden. Denn sie war eine kleine Makroalge und diente vielen Meeresbewohnern als Nahrung. Er fragte sich, welche Überlebensstrategie dahinterstecken könnte, im Korallenriff als Alge nicht gefressen zu werden. Dieser Gedanke war gewissermaßen der Grundstein seiner späteren Forschungskarriere. „Naturstoffe aus Algen“ – das sollte sein Forschungsgebiet werden. Heute, knapp 30 Jahre später, leitet der Wissenschaftler die Arbeitsgruppe Extremophilenforschung & Biobank CCCryo am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse IZI-BB in Potsdam-Golm. Sein Name: Dr. Thomas Leya. Sein Spezialgebiet: kryophile (kälteliebende) Süßwassermikroalgen, auch Schnee- und Permafrostalgen genannt.
Das Geheimnis des roten Schnees
Was damals in Australien begann, war im Leben von Dr. Thomas Leya der Auftakt einer jahrzehntelangen Erforschung dieser Lebewesen, die zehnmal kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haars. Zunächst führte ihn seine Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin seit 1999 mehrmals nach Spitzbergen, wo er mit seinem Doktorvater, Professor Günter Fuhr, auf ein Phänomen stieß, das damals als so genannter roter Schnee immer wieder für internationale Schlagzeilen sorgte. „Zu der Zeit hieß es, man könne diese Algenart nicht kultivieren und daher auch schwer charakterisieren, also hat man sich nicht intensiver damit beschäftigt. Wir haben es dann später geschafft“, erinnert sich Dr. Leya. Für die Forschung war ihnen dabei keine Mühe zu groß: Sie charterten das Boot eines dänischen Kapitäns, sammelten vier bis sechs Wochen lang Proben entlang der Küste Spitzbergens, während Eisbären ihr Treiben beobachteten. Dabei stellten sie fest, dass es sich beim roten Schnee um grüne Mikroalgen handelt, die in einer Art Ruhephase eine rötliche Färbung bekommen.
Stolze Leistung aus 20 Jahren Forschung: über 500 Algenstämme in der Stammsammlung CCCryo
Mit Kühltaschen kamen sie zurück nach Deutschland und begannen, die Algen zu klassifizieren und zu kultivieren. Drei Jahre dauerte es, bis ihnen das möglich war. Keine einfache Aufgabe, wie sich Dr. Thomas Leya erinnert: „Wir mussten das richtige Medium finden, auf dem sie wachsen. Sie benötigten spezielle Lichtbereiche, und wir mussten Wege finden, Temperaturen von zwei bis vier Grad aufrecht zu erhalten“. Dieses Verfahren hat Dr. Leya mit seinem Forschungsteam über Jahre und Jahrzehnte weiter ausgebaut und optimiert, sodass sie heute Schneealgen im industriellen Maßstab herstellen können. Inzwischen ist auch die Sammlung an kryophilen Süßwassermikroalgen stark gewachsen: Die Stammsammlung CCCryo („Culture collection of cryophilic algae”,) umfasst 524 Stämme in 177 Arten und aus 101 Gattungen. Die Isolate stammen aus der ganzen Welt: von der Antarktis, über Australien, die Rocky Mountains bis Spitzbergen. Den überwiegenden Teil von ihnen hat Dr. Leya persönlich gesammelt.
Verjüngungskur mit Schneealgen?
Für die Industrie sind Mikroalgen und im Speziellen Schneealgen interessant, weil sie voller Enzyme, Proteine und weiteren Inhaltsstoffen stecken. Diese entdeckte zum Beispiel ein Schweizer Kosmetikhersteller für sich. Das Unternehmen untersuchte die Schneealgenextrakte vom Fraunhofer IZI-BB und fand heraus, dass durch sie ein bestimmtes Gen stimuliert wird und sich die Teilungsrate der Hautzellen erhöhte. Oder einfacher gesagt: Die Extrakte haben das Potenzial, der Hautalterung entgegenzuwirken. Mit diesem Verjüngungseffekt kann das Unternehmen seit 2010 sein Produkt erfolgreich vermarkten. Dr. Leya: „In vielen Fällen ist der Markt für Kosmetika für uns ein sehr dankbarer Markt, weil für Produkte hier durchschnittlich höhere Preise verlangt werden können, denn nach wie vor ist es für uns sehr aufwendig, Schneealgen zu kultivieren“.
Schneealgen – eine potenzielle Ressource für die wertvollen Omega-3-Fettsäuren
Ein weiterer Markt ist das Segment der Nahrungsergänzungsmittel. Denn die Schneealgen beinhalten sehr viele Omega-3-Fettsäuren, die als äußerst förderlich für die Gesundheit gelten. Noch heute wird ein Großteil der Omega-3-Fettsäuren aus Fischen, insbesondere Beifängen, gewonnen. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren ändern – zugunsten der Algen. Denn unsere Meere sind hoffnungslos überfischt. Einige Schätzungen wie die des UN-Umweltprogramms UNEP gehen davon aus, dass spätestens 2050 weltweit keine kommerzielle Fischerei mehr möglich ist.
Kryophile Süßwassermikroalgen und auch marine Mikroalgen generell könnten da eine nachhaltige Lösung sein, weil sie die eigentlichen Primärproduzenten der mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind. Die Fische nehmen diese nämlich nur über Zooplankton auf, dass dieses wiederum über die Algen (Phytoplankton) aufnimmt. Darum sind die kultivierten Schneealgen auch prädestiniert als Futterzusatz für die Fischzuchtindustrie. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit: Dr. Leya vermutet in einigen Schneealgen Enzyme, mit denen sich Prozesse in der Lebensmittelindustrie verbessern lassen könnten – zum Beispiel, um bei der Kaltpressung von Oliven mehr Öl zu gewinnen.
Der Traum von Mikroalgen als wichtige Ressource für nachhaltige Produkte
Die Anwendungsmöglichkeiten von Mikroalgen und Schneealgen im Speziellen sind also sehr groß. Für die Zukunft wünscht sich Dr. Leya, dass Algen häufiger von der Industrie genutzt werden. „Wir wissen bereits sehr viel über Algen. Für die Industrie muss es sich natürlich auch wirtschaftlich lohnen, die Produkte der kryophilen Süßwassermikroalgen zu nutzen. Und genau daran arbeiten wir“, so der Schneealgenforscher. Bei der wirtschaftlichen Verwertung spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle wie etwa das Preisbewusstsein der Konsument:innen: „Ich würde mir wünschen, dass die Verbraucher:innen auch bereit sind, mehr Geld für ihre Nahrungsmittel und generell für nachhaltige Produkte auszugeben. Hier ist die Situation manchmal etwas Paradox: Wir geben sehr viel Geld für das Handy und Auto aus, aber der Lachs auf dem Frühstücksteller darf nur ein paar Euro kosten“, so Dr. Leya. Ein Umdenken sei erforderlich – insbesondere dann, wenn wir nachhaltiger leben wollen.
Schneealgenforschung an einem der wichtigsten Wissenschaftsstandorte Deutschlands
Vermutlich wird es noch ein paar Jahre dauern, bis sich der Wunsch von Dr. Thomas Leya erfüllt und Schneealgen viel weiträumiger für nachhaltige Produkte genutzt wurden. Bislang freut er sich, dass die Fraunhofer-Gesellschaft seine Forschungsarbeit all die Jahre unterstützt hat und einige Produkte daraus entstanden sind. Und er erinnert sich gerne zurück, wie er damals mit seinem Doktorvater einen Standort des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT in Potsdam-Golm aufgebaut hat. Vor allem im Sommer genießt er seine Arbeit im Fraunhofer IZI-BB im Potsdam Science Park: „Es ist wirklich eine sehr schöne Landschaft, da kann ich in Ruhe arbeiten“, so der Arbeitsgruppenleiter der Extremophilenforschung. In den fast 20 Jahren am Standort fallen ihm auch die vielen Veränderungen auf: „Die Infrastruktur hat sich verbessert, und es ist großartig, dass junge Unternehmen in Gebäuden wie dem GO:IN direkt Laborflächen haben, in denen sie arbeiten können“.
Nur bei der Bahnverbindung hofft er auf Nachbesserungen: „Wir sind ein wichtiger Forschungsstandort, da müssen wir die Taktungen der Züge noch deutlich verbessern, um für gute Wissenschaftler:innen und Student:innen attraktiv zu sein“, sagt Dr. Leya und fügt hinzu: „Aber solche Infrastrukturanpassungen sind oft ein dickes Brett, das seine Zeit braucht“. Aber dass sich Geduld oft auszahlt, weiß der Mann, der Schneealgen seit einigen Jahrzehnten erforscht, nur allzu gut.
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Julia Hinz
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