„Unsere Technologie zur Antikörperherstellung ist wie ein Turbo-Boost“ – Interview mit Prof. Katja Hanack
Katja Hanack ist Professorin für Immuntechnologie an der Universität Potsdam und gehört weltweit zu den renommiertesten Wissenschaftler*innen in der Erforschung von Antikörpern. Durch ihre intensive Forschung kann sie nun ein umfassendes und innovatives Technologieportfolio anbieten, um Antikörper schnell und effektiv herzustellen. Mit einer der Technologien konnte die Herstellungsdauer für monoklonale Antikörper von zwölf auf nur drei Monate verkürzt werden. Die von ihrem Team entwickelten Verfahren helfen dabei, nicht nur im Kampf gegen das Coronavirus neue Testsysteme und Medikamente zu etablieren.
Frau Prof. Hanack, Sie sind Professorin für Immuntechnologie an der Universität Potsdam und haben gewissermaßen die Herstellung künstlicher Antikörper revolutioniert. Was hatte Sie dazu angetrieben?
Noch in den 2000er Jahren wurden künstliche Antikörper auf Basis von zwei Technologien produziert, die beide in den 80er Jahren entwickelt wurden. Das war ein bisschen, als ob man mit einem Oldtimer zur Arbeit fährt. Man hatte es immer so gemacht und gesagt: „Das läuft doch gut, warum soll man etwas ändern?“ Man hatte sich mit einem Jahr Entwicklungszeit abgefunden. Ein totaler Irrsinn. Das war auch das, was uns damals angetrieben hat, neue und optimierte Verfahren zu entwickeln. Aber so war das eben: Neue Verfahren sind immer ein langer Weg und aufwendige Arbeit. Und ich habe gemerkt: Es lohnt sich, diesen Weg zu gehen. Unsere Technologie zur Antikörperherstellung ist wie ein Turbo-Boost, mit dem wir das Verfahren von zwölf Monaten auf nur drei Monate verkürzen konnten. Wir fahren nicht mehr den Oldtimer, sondern nehmen den Tesla.
Was genau hatte Sie an den bisherigen Verfahren der Antikörperherstellung gestört?
Der Zeitaufwand und die Versuchstiere, die man benötigt. Noch heute läuft es oft so ab: Man injiziert einer Maus Antigene. Die Maus produziert daraufhin Antikörper. Nach zwei bis drei Monaten werden der Maus Milzzellen entnommen, von denen einige die Antikörper produzieren. Die Zellen leben aber dann normalerweise nur sieben Tage. Für die Antikörperproduktion ist das natürlich sehr schlecht. Daher will man die Zellen quasi unsterblich machen und fusioniert sie mit einem Krebszellentyp. Anschließend kommt der Teil, der die meiste Zeit benötigt. In der Milz befinden sich Millionen von Zellen, die einen riesigen Pool von Antikörpern produzieren. Nun gilt es, die richtigen Antikörper und die dazugehörige Zelle zu finden. Das ist ein wenig, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Diese Suche dauert mit dem herkömmlichen Verfahren bis zu vier Monate. Dann muss der gewünschte Antikörper noch produziert, gereinigt und charakterisiert werden, was nochmal weitere Zeit in Anspruch nimmt.
Was genau ist ihr Ansatz, um dieses Verfahren zu beschleunigen?
Eins unserer Verfahren reduziert den Aufwand drastisch, um die Antikörper-produzierenden Zellen zu finden. Denn wir haben die Zellen bereits im Vorfeld mit einem Oberflächenmarker verändert. Der Pool an Antikörpern muss nicht mehr aufwändig durchsucht werden, weil diese bereits markiert sind und so sehr viel schneller und flexibler im Hochdurchsatz identifiziert werden können.
Sie haben angedeutet, dass Sie für die Antikörperproduktion gerne auf Versuchstiere verzichten möchten. Wie schaffen Sie das?
Wir sind mit unserer Plattformtechnologie bereits so weit, dass wir Antikörper in vitro, also ohne tierischen Organismus, herstellen können. Dadurch können wir das gesamte Herstellungsverfahren noch einmal beschleunigen und von drei Monaten auf zwei Wochen verkürzen. Es ist wirklich eine ganz neue Art und Weise, wie wir Antikörper produzieren. Das war auch der Grund, warum ich 2014 meine Firma new/era/mabs gegründet habe, um diese Technologien und die Antikörper zu vermarkten. Wir haben inzwischen Patente in Europa und den USA. Das Interesse ist weltweit sehr groß, sowohl für Forschungsinstitute als auch für Unternehmen im Bereich der Diagnostik und Pharmazie.
Aktuell sind Sie in Stanford. Warum?
Das Stanford SPARK-Programm gibt mir die Möglichkeit, hier zu forschen, zu netzwerken und an neuen Projekten zu arbeiten. Das Programm fördert Entdeckungen aus der biomedizinischen Forschung, die vielversprechende medizinische Behandlungen für Patienten ermöglichen. Es geht um Transfer, also wie Ergebnisse der Wissenschaft ihren Weg in die Praxis und Umsetzung finden. Das Programm ist global stark vernetzt. 2019 war ich bereits Gastprofessorin in Stanford und wollte 2020 wieder dorthin. Das musste ich durch die Pandemie und den Lockdown verschieben. Das Interesse an meiner Forschung und den Technologien zur Antikörperherstellung war sehr groß. Es sind viele neue Projekte entstanden, und wir haben schon für Arbeitsgruppen und Firmen in Stanford Antikörper produziert. Das führe ich jetzt weiter.
Dank des von Ihnen entwickelten Verfahrens können Antikörper sehr viel schneller hergestellt werden. Inwieweit könnten diese Antikörper eingesetzt werden, um die Ausbreitung des Coronavirus‘ weiter einzudämmen?
Daran arbeite ich unter anderem gerade in Stanford. Es gibt ein Projekt mit verschiedenen Partnern, in dem ein SARS-CoV-2-spezifisches Nachweissystem entwickelt wird. Das ist eine große Kooperation mit Stanford, der Harvard Medical School in Boston und der Universität in Berkeley. Da geht es darum, dass wir die Antikörper für das Nachweissystem herstellen. Auch in Potsdam sind wir in ein BMBF gefördertes Forschungsprojekt eingebunden, wo wir mit regionalen Unternehmen entsprechende in vitro Diagnostika für die Detektion von SARS-CoV-2 entwickeln.
Warum fokussieren Sie sich gerade auf Nachweissysteme, von denen es bereits viele auf dem Markt gibt?
Zum einen ist die weltweite Nachfrage nach Testsystemen nach wie vor groß. Zum anderen haben wir zwar viele Coronatests auf dem Markt, aber viele dieser Testsysteme funktionieren auf eine ähnliche Art und Weise. Wir arbeiten in unserem Konsortium an einem neuen Virusnachweis, den man auch zuhause einsetzen kann. Die Auswertung eines PCR-Tests, der ja wegen seiner Genauigkeit als Goldstandard der Tests gilt, dauert nach wie vor ein bis zwei Tage durch die Laborauswertung. Unser Virusnachweis soll ohne PCR auskommen und ein Ergebnis innerhalb von 30 bis 40 Minuten liefern. Wenn das System steht, hat man ein gutes Tool, auch für andere Viren. Es wird nicht die letzte Pandemie bleiben, da bin ich mir sicher.
Können Sie sich vorstellen, dass ein Medikament mit Ihren Antikörpern auf den Markt kommt?
Es ist durchaus möglich, dass unsere humanen Antikörper, die wir bereits entwickelt haben, therapeutisches Potenzial haben. Das ist aber wieder ein ganz anderer Anwendungsfall. Durch die Regularien, auch in Bezug auf Studien zur Wirksamkeit, ist das ein Thema, das wir nicht alleine machen können. Da brauchen wir große Pharmafirmen, die da mitmachen. Das liegt auch daran, dass der Antikörper selbst nur ein Teil des Produkts ist. Die Entwicklung solcher Medikamente stellt immer ein Risiko für Firmen dar. Aber wir sind sehr gespannt, was aus unseren Antikörpern mal wird.
Bei den Impfstoffen hat sich die RNA-Technologie als äußerst effizient erwiesen. Im Fraunhofer IAP forschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch an Medikationen, die auf der RNA-Technologie basieren. Was wären die Vorteile eines Medikaments, das mit Antikörpern funktioniert?
Zunächst einmal finde ich die RNA-Technologie sehr interessant. Mit der Etablierung dieser Methode wurde ein ganz neues Kapitel der Wirkstoffe geschrieben und ich bin gespannt, welche Entwicklungen es in dem Feld zukünftig geben wird. Was Antikörper angeht, haben Sie als Teil eines Medikaments zunächst einen klaren Vorteil: Sie sind sofort da und können wirken. Die RNA geht erst in die Zelle, wird dort abgelesen, dann ein Protein dazu gemacht, um die Viren zu bekämpfen. Es dauert also länger, bis die Wirkung einsetzt. Bei einer akuten Erkrankung kann ein Medikament mit Antikörpern schneller wirken. Aber auch Kombinationen aus beiden sind zukünftig sicher denkbar.
2014 haben Sie das Biotech-Unternehmen new/era/mabs gegründet, um das Antikörper-Screening SELMA zu vermarkten. Inwieweit haben Ihnen die Strukturen am Potsdam Science Park geholfen, Ihr Unternehmen zu gründen?
Die Strukturen waren für mich eine große Starthilfe. Zu der Zeit ist etwa auch Potsdam Transfer gestartet. Dadurch hatte ich eine ganz konkrete Anlaufstelle mit persönlicher Beratung, die mir dabei half, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Wir haben auch die zahlreichen Angebote von Potsdam Transfer intensiv genutzt – von Beratungen bis zu Informationen zu Patenten. Es gab entsprechende Fördermittel und Möglichkeiten, wichtige Informationen zu erhalten. Das war für mich als Wissenschaftlerin sehr wichtig, um mich in das Abenteuer einer Gründung zu begeben. Für mich war es dann auch klar, dass das Unternehmen den Hauptsitz in Potsdam-Golm haben sollte, dem heutigen Potsdam Science Park.
Welche Vorteile hat aus Ihrer Sicht der Potsdam Science Park?
Es ist ein junger Standort. Das hat viele Vorteile, um sich besser aufzustellen. Der Potsdam Science Park hat ein modernes Flair. Und ich finde es förderlich, dass die Universität Potsdam den Bereich Transfer als dritte Säule neben Forschung und Lehre stellt. Am Ende findet nicht jede*r Absolvent*in einen Platz in der Wissenschaft. Dafür gibt es einfach nicht genügend Stellen. Also muss es auch andere Arbeitsbereiche jenseits der akademischen Laufbahn geben.
Sehen Sie Lerneffekte in der Forschung, die über die aktuelle Pandemie hinausgehen?
Das auf jeden Fall. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir an der ein oder anderen Stelle hilflos sind. Aber wir haben die Chance gehabt, uns gut aufzustellen und für die Zukunft zu wappnen. Auch für aggressivere Viren. Das ist meine Hoffnung bei allem Übel, was passiert ist. Und Stichwort Digitalisierung: Viele haben gemerkt, dass oft auch ein Zoom-Meeting reicht. Es bringt uns allen mehr Flexibilität, wenn man auch digitale Elemente nutzen kann. Ich hoffe, dass uns etwas davon erhalten bleibt.
Frau Hanack, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.
Bildnachweis: Prof. Dr. Katja Hanack © Universität Potsdam/Tobias Hopfgarten