3 Fragen an CanChip-Gründerin Ghazaleh Madani – »Für einen schnellen Wandel hin zu einer personalisierten Krebsmedizin müssen wir die Komfortzone verlassen«
Ghazaleh Madani ist Gründerin von CanChip, einem jungen Unternehmen, das sich im Potsdam Science Park mit der Entwicklung innovativer Tumor-on-a-Chip-Technologien beschäftigt. Die in Potsdam-Golm hergestellten Chips dienen als Grundlage für die Entwicklung neuer Krebsmedikamente und ermöglichen ein effizientes und präzises Wirkstoffscreening für personalisierte Krebstherapien. Im Interview spricht Ghazaleh Madani über die Technologie hinter der innovativen Idee von CanChip, ihre tiefe Verbundenheit mit Potsdam und dem Potsdam Science Park und ihre Hoffnung für die Zukunft der Krebsmedizin.
»Wir brauchen jetzt einen Wandel in der Krebsbehandlung – und der ist möglich«
Ihr Unternehmen CanChip entwickelt Tumor-on-Chip-Modelle mit dem Ziel, die Krebstherapien zu revolutionieren. Inwiefern bieten diese Chips neue Hoffnung für Krebspatienten?
Ghazaleh Madani: Wir nutzen neue Methoden wie 3D-Druck, um mikrofluidische Chips herzustellen, die für die personalisierte Krebsbehandlung verwendet werden. Wir können Zellen aus dem Tumor eines Patienten entnehmen und auf einem Chip in einer natürlichen Umgebung wachsen lassen, indem wir chemische Medien in das System einbringen, die die Krebszellen zum Leben brauchen. Die so entstehende 3D-Zellkultur ähnelt der Mikroumgebung der Tumorzellen im Körper, was sich als wichtig für die Behandlungsoptionen erwiesen hat. Mit dieser Zellkultur auf einem Chip können wir testen, welches Medikament für den Patienten am besten geeignet ist. Wenn es sich um eine Chemotherapie handelt, können wir testen, welche Kombination von Wirkstoffen am vielversprechendsten ist. Wir können auch Multi-Organ-Chips mit 3D-Strukturen von Leber und Niere des Patienten erstellen, um zu beobachten, wie die getesteten Medikamente verstoffwechselt werden und welche Nebenwirkungen sie verursachen. Dadurch wird die Krebsbehandlung viel individueller, verträglicher und genauer.
Unsere Mikrofluidik-Chips werden auch in der Arzneimittelentwicklung eingesetzt. Derzeit funktionieren 92 Prozent aller entwickelten Medikamente zwar in Tierversuchen, aber nicht beim Menschen. Mit unseren Chips können Tierversuche in den ersten beiden Phasen klinischer Studien deutlich reduziert werden. Dass schont Tiere und macht die Versuche zudem viel billiger und schneller. Es ist eine Win-Win-Situation.
Wir arbeiten jetzt mit Universitäten, Krankenhäusern und Pharmaunternehmen zusammen, um eine erste Charge von Chips für bestimmte Krebsarten zu entwickeln. Wir konzentrieren uns vor allem auf Darm-, Knochen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie auf Metastasen und zirkulierende Krebszellen (CTCs) im Blut.
Wir verstehen uns als Dienstleister, der benutzerfreundliche, kostengünstige Chips mit spezifischen Designs anbietet, um die Krebsbehandlung zu revolutionieren. Ich selbst habe zwei Onkel durch Krebs verloren und meine Mutter hat eine Krebserkrankung zum Glück überstanden. Ich kann nicht akzeptieren, dass so viele Menschen unter Krebs leiden müssen. Wir brauchen jetzt einen Wandel in der Krebsbehandlung – und der ist möglich.
Sie haben Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Potsdam studiert, nachdem Sie Ihr Medizinstudium im Iran abgeschlossen hatten. Warum haben Sie CanChip im Potsdam Science Park gegründet?
Ghazaleh Madani: Ich liebe Potsdam. Die Stadt ist gleichzeitig aufregend und ruhig, sauber und einladend. Als Ausländerin fühle ich mich hier wohl. Als ich mit dem Studium fertig war, habe ich keine Sekunde daran gedacht, unser Unternehmen irgendwo anders in Deutschland zu gründen. Der Potsdam Science Park hat uns von Anfang an unterstützt, ebenso die Investitionsbank des Landes Brandenburg und die Wirtschaftsförderung Brandenburg.
Im Potsdam Science Park haben wir viele wissenschaftliche Verbindungen knüpfen können. Wir arbeiten zum Beispiel mit Professor Katja Hanack von der Universität Potsdam an Chips für die Produktion monoklonaler Antikörper für Krebstherapien. Wir sind zudem im Kontakt mit den benachbarten Forschungsinstituten hier im Park.
Unsere Erwartung ist, dass wir im Potsdam Science Park noch mehr Kontakte knüpfen werden. Die Networking-Veranstaltungen, wie Lunch & Learn oder After Work Beer, die das Standortmanagement anbietet, sind großartig, um Ideen auszutauschen und herauszufinden, wer daran Interesse haben könnte. Als neues Startup profitieren wir sehr vom Standort. Unsere Kolleginnen und Kollegen können Deutschkurse und Gesundheits-Webinare besuchen oder den Welcome-Service nutzen. Das hilft denjenigen, die noch nicht wissen, wie das deutsche System funktioniert. Sie fühlen sich dadurch von Anfang an wohler hier.
Wie werden sich die Krebstherapien bis 2040 dank mikrofluidischer Chips verändern?
Ghazaleh Madani: Die Menschen werden keine Behandlungen mehr erhalten, die nicht optimal für sie sind. In der Zukunft – und das ist hoffentlich früher als 2040 – werden Krebstherapien personalisiert und nahtlos automatisiert sein – von der Aussaat der Zellen auf einen Chip über das Testen der Medikamente bis hin zum Versand der Berichte für jeden einzelnen Patienten. Automatisierung und KI werden dazu beitragen, Fehler zu reduzieren und die Entwicklung und Prüfung von Medikamenten zu beschleunigen.
Als Unternehmen werden wir uns auch im Jahr 2040 noch auf die Krebsforschung in Bereichen wie Immuntherapie und Gentherapie sowie auf neue Methoden konzentrieren, die für die Patienten weniger schädlich sind. Wir werden an spezifischen Krebsarten arbeiten, und unser Mutterunternehmen wird Tochterunternehmen für andere Krebsarten und auch andere Krankheiten gegründet haben.
Für einen schnellen Wandel hin zu einer personalisierten Krebsmedizin müssen wir jetzt die Komfortzone verlassen. Dazu wollen wir beitragen, indem wir durch validierte und reproduzierbare Daten Vertrauen in effiziente Tumor-on-a-Chip-Systeme schaffen. Und wir wollen zeigen, dass diese Methode weniger kosten kann als das übliche Chemotherapie-Protokoll. Unser Ziel ist es, eine personalisierte Medizin zu etablieren, die für alle bezahlbar ist.
Weitere Informationen finden Sie auf der CanChip-Website.
Dieser Blog und die von der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park durchgeführten Projekte werden von der Europäischen Union und vom Land Brandenburg kofinanziert.
Interview: Mirco Lomoth | ©Foto: CanChip/Steven Ritzer Photography