3 Fragen an Biotx.ai: „Mit unserer KI-Plattform haben wir in drei Monaten etwas geschafft, wofür die Industrie mehrere Jahre benötigt“

Künstliche Intelligenz ist eines der großen Trendthemen unserer Zeit. Aber was genau kann sie bewirken? Das Unternehmen Biotx.ai mit Sitz im Potsdam Science Park schafft es mit seiner KI-Plattform, komplexe Muster in genomischen Daten zu erkennen, und kann so präzise Vorhersagen zur Wirksamkeit von neuen Therapien treffen. Ihr Ansatz könnte die Zeit für solche Studien radikal verkürzen und so eine ganze Branche revolutionieren. Wie das funktioniert, erklärt Biotx.ai COO Christian Hebenstreit in unserem Interview.

Herr Hebenstreit, die Firma Biotx.ai will mit künstlicher Intelligenz die Zulassung von Medikamenten revolutionieren. Wie wollen Sie das schaffen?

Die Grundproblematik lautet wie folgt: Aktuell lässt sich die Wirksamkeit eines Medikaments schwer vorhersagen. Es durchläuft deshalb drei Stufen mit klinischen Studien. Bis ein Medikament diese Phasen durchlaufen hat und auf den Markt kommt, dauert es aktuell im Durchschnitt etwa fünfzehn Jahre. Unternehmen investieren in diesen Zulassungsprozess teilweise gigantische Summen, im Schnitt 4,8 Milliarden Dollar. Gleichzeitig hat man erkannt, dass wir spezifischere Medikamente benötigen, die möglichst individuell auf einzelne Menschen zugeschnitten sein sollte. Denn jeder Mensch ist einzigartig und hat andere Bedürfnisse. Die Zahl der Forschungsprojekte und Studien wird also weiter steigen. Wenn 90 bis 95 Prozent der Medikamente nie den Markt erreichen, ist das kein nachhaltiges Geschäftsmodell mehr. Diese Herausforderung wollen wir lösen. Wir haben mit unserer KI-Plattform ein Vorhersagemodell geschaffen, das mit Hilfe von frei zugänglichen Biodatenbanken genomische Daten auswertet und so schnell geeignete Therapien, aber auch die passenden Patienten für Studien identifiziert. Denn welche Krankheiten man im Laufe des Lebens bekommt und wie Medikamente bei Krankheiten wirken, ist meist immer auch genetisch bedingt. Bei einem unserer erfolgreichsten Projekte haben wir mit drei Mitarbeitern in drei Monaten etwas geschafft, wofür die Industrie bislang mehrere Jahre benötigt.

Wie gut funktioniert ihr Ansatz in der Praxis? Gibt es erste Referenzprojekte?

Es gibt tatsächlich einen Anwendungsfall, der bewiesen hat, wie leistungsstark unsere Plattform ist. Vor einem Jahr haben wir begonnen, uns mit Covid-19 zu beschäftigen. In diesem Bereich gibt es nach wie vor eine therapeutische Lücke. Es gibt zwar die Impfungen, für die wir sehr dankbar sind, aber noch keine optimale Medikation für hospitalisierte Patienten. Erste Medikamente sind zwar schon heute auf dem Markt erhältlich, doch bislang wirken sie nur am Anfang der Infektionskette. Ich müsste sie also direkt nach einem positiven Test einnehmen. Wenn der Virus streut, wenn ich also schon stärkere Symptome habe, ist es zu spät, diese einzunehmen. Am Ende der Kette gibt es dann nur noch Medikamente für Menschen, die bereits auf der Intensivstation liegen. Diese Lücke schließen wir mit unserem Ansatz. Dazu haben wir uns Patienten der UK-Biobank angeschaut. Hier wurden 500.000 Menschen genetisch sequenziert und die Daten abgelegt. In unserer Analyse haben wir uns dann mehrere tausend Corona-Patienten, die mittlere bis schwere Verläufe hatten, genauer angeschaut. Wie sahen medizinischen Daten aus, bevor sie Covid-19 hatten, und wie sahen sie danach aus? So konnten wir Wirkstoffziele, so genannte drug targets, identifizieren. Und wir konnten ein Medikament finden, dass dieses Ziel schon ansteuert. Das war der Beweis, dass das System funktioniert. Wir konnten die ersten Phasen einer Studie simulieren und beginnen nun eine formelle klinische Studie mit der Universitätsklinik Brandenburg. Weitere Krankheitsfelder wie Brustkrebs, Parkinson oder Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen sind bei uns bereits in der Pipeline.

Warum haben Sie sich für den Potsdam Science Park als Standort für Biotx.ai entschieden?

Das Netzwerk zur akademischen Community war für uns eines der Hauptgründe für Potsdam. Wir haben hier die Max-Planck- und Fraunhofer-Institute in unmittelbarer Umgebung und das Hasso-Plattner-Institut im Raum Potsdam, mit dem wir partnerschaftlich zusammenarbeiten. Das Institut forscht ebenfalls am mathematischen Modell der Causal Inference, also kausalen Wirkungen, das Bestandteil unser KI-Plattform ist. Das Prinzip ist so wichtig, dass drei Forscher dazu 2021 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten haben. Mit Stefan Konigorski vom Hasso-Plattner-Institut arbeiten wir hier eng zusammen, um das Modell weiter zu verfeinern und in unsere Lösung zu integrieren. In der Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut können wir medizinische Produkte im Forschungslabor, also in-vitro, testen lassen. Ein weiterer Aspekt ist die Verfügbarkeit von Talenten. Das ist heute ja ein wichtiges Thema. Wir sind als Firma nämlich international aufgestellt und brauchen die besten Talente. Und da waren wir in Potsdam bis jetzt sehr zufrieden, dass wir hier sehr schlaue Köpfe mit internationalem Background finden konnten.

Herr Hebenstreit, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Dieser Blog und die Projekte der Standortmanagement Golm GmbH im Potsdam Science Park werden aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Landes Brandenburg finanziert.

Bildnachweis: Christian Hebenstreit © Albert Covelli

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