Portrait von Prof. Oliver Günther, Ph.D.,Präsident der Universität Potsdam
Der Präsident der Universität Potsdam, Prof. Oliver Günther, Ph.D., ist Gesellschafter des Standortmanagements im Potsdam Science Park ©UP/Ernst Kaczynski

»Es geht aufwärts mit der Innovationskraft« – Interview mit Prof. Oliver Günther, Ph.D. Präsident der Universität Potsdam

 

Im Potsdam Science Park trifft hochkarätige universitäre und außeruniversitäre Forschung auf Gründergeist. Der Präsident der Universität Potsdam, Prof. Oliver Günther, Ph.D. spricht im Interview darüber, was es für den erfolgreichen Transfer von Wissen aus der Forschung in Anwendungen hinein braucht, wie die Brandenburger Wirtschaft davon profitiert und warum der Potsdam Science Park zu den Top-Innovationsstandorten in der Hauptstadtregion zählt.

Prof. Günther, wie wichtig ist der Transfer von Wissen aus der Forschung für die wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg?

Transfer ist für das Wirtschaftsleben essenziell. Die Wissenschaft ist ein wesentlicher Treiber dessen, was in die Entwicklung geht und am Weltmarkt Verwendung findet. Insofern ist sie absolut entscheidend für das Wohlergehen einer Volkswirtschaft und die regionale Wirtschaftsentwicklung. Aus ihr entstehen Arbeitsplätze, Wohlstand, Glück und Erfüllung – vieles von dem, was wir im Leben wollen.

Als ich vor zwölf Jahren hier ankam, lag Brandenburg wirtschaftlich am Boden. Die Politik war damals noch nicht so überzeugt wie heute, dass eine gute Wissenschaft und Transfer eine wesentliche Grundlage des wirtschaftlichen und kulturellen Wachstums des Landes werden können. Aber mittlerweile ist klar, dass Transfer ein entscheidender Transmissionsriemen für Brandenburg ist, um aus der Ecke des Urlaubslandes herauszukommen. Auch Tesla haben wir auch wegen der guten Wissenschaft im Land.

Gibt es Belege dafür, dass dieser Transmissionsrahmen funktioniert?

Wir als Universität werden regelmäßig vermessen, zum Beispiel vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Die haben ein Transferbarometer, auf dem wir regelmäßig unter den Top 5 der deutschen Hochschulen landen. Warum? Weil wir sehr viele Start-Neugründungen vorweisen können. Nicht alle haben letztlich Erfolg, aber viele erwirtschaften sich eine Nische oder wachsen sogar zu großen Unternehmen heran. Das schafft Bruttoinlandsprodukt und Arbeitsplätze. Es geht aber nicht nur um Geld, sondern eben auch um Lebensglück, das durch sinnvolle Aufgaben geschaffen wird.

Wie trägt der Potsdam Science Park zu dieser Innovationskraft bei?

Der universitäre Campus im Potsdam Science Park punktet mit einer sehr leistungsfähigen Forschungslandschaft, dazu kommen die Max-Planck-Institute und die Fraunhofer Institute sowie gewerbliche Anmietungen. Über die sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Universität, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Stadt und Land  wächst hier ein Ökosystem zusammen, das für Brandenburg einen großen Mehrwert schafft.

„Kompetente Ansprechpartner wie das Standortmanagement in Golm und gute Services sind wichtig, um eine positive Stimmung zu schaffen, die Gründungsbiografien fördert.“


Wissenschaftliche Erkenntnisse werden umso wertvoller, wenn aus ihnen nützliche Innovationen für die Gesellschaft hervorgehen. Was braucht es, um einen effizienten Transfer von Forschungswissen in die Praxis hinzubekommen?

Das ist eine Frage, die wir inzwischen besser beantworten können als vor 20 oder 30 Jahren. Als ich als Hochschullehrer angefangen habe, bedeutete Transfer: Wir an der Universität erforschen etwas, schreiben unsere Ideen auf und dann kommt irgendjemand aus der Industrie und macht etwas daraus. Das ist aber nicht realistisch, weil die Akteure zu sehr in ihren spezifischen Arbeitskontexten tätig sind und vielleicht auch zu wenig kommunizieren.

Wir denken Transfer heute viel stärker über Personen. Wir setzen darauf, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich entschließen, für eine Zeit oder auch dauerhaft aus der reinen Forschung rauszugehen und ein Start-up zu gründen. Diese Gründerkultur fördern wir schon unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem sehr frühen Karrierestadium. Für manche ist es schwierig, sich fürs Gründen zu entscheiden, weil sie Spaß an der Forschung haben und dort weit kommen wollen. Da gibt es einen gewissen Zielkonflikt, aber wir versuchen, die Vielfalt der möglichen Entwicklungen aufzuzeigen. Manche bleiben dann in der Wissenschaft, und das ist auch gut so. Die Hauptsache ist, dass das System insgesamt ausgewogen ist. Wir brauchen eine starke Grundlagenforschung und wir brauchen Transitionspfade in Start-ups und existierende Unternehmen hinein. Transfer von Wissen findet aber genauso statt, wenn jemand bei uns promoviert und dann zu Rolls Royce oder Tesla geht.

Sie selbst sind Wirtschaftsinformatiker und haben zwei Start-ups gegründet – was braucht es ihrer Erfahrung nach, damit Wissenschaftler:innen sich in Gründungsprozess hineinwagen?

Ich war als junger Wissenschaftler in den 80er und 90er Jahren in Ulm bereits an einem Institut, an dem es viel um Transfer ging. Als ich 1993 dann Professor in Berlin wurde, war die Stimmung für Gründungen gerade sehr gut. Mein erstes Start-up war Poptel, Deutschlands erste Voice Over IP-Firma, in der einiges an innovativem Engineering steckte. In den USA habe ich dann noch ein Unternehmen namens TeamToolz mitgegründet, ein Cloudsoftware-Anbieter für digitale Dienstleistungen. In Potsdam haben wir auch den richtigen Gründungsspirit – hier wird in den nächsten Jahren viel passieren. Wir müssen Studierende an den Hochschulen nur frühzeitig darauf hinweisen, dass man selbst gründen kann und dieser Weg ein guter sein kann.

Im Potsdam Science Park werden Gründungsaktivitäten aktiv gefördert – wie wichtig sind solche Angebote?

Auf Seiten der Universität haben wir mit Potsdam Transfer eine Organisationseinheit, die damit anfängt, in Labore reinzugucken, Ideen und Gründungsinteressierte ausfindig zu machen. Die bringen dann Teams zusammen und vermitteln an das Standortmanagement-Team des Potsdam Science Park, das zahlreiche Coachings und Workshops zu Gründungsthemen organisiert und Start-ups bei Bedarf an die Golmer Innovationszentren vermittelt, die ihnen Laborflächen anbieten können. Kompetente Ansprechpartner wie das Standortmanagement in Golm und gute Services sind wichtig, um eine positive Stimmung zu schaffen, die Gründungsbiografien fördert.

Das Standortmanagement ist eine Tochter der Universität Potsdam und der Landeshauptstadt – weshalb ist eine solche »Schaltzentrale« für einen Innovationsstandort entscheidend?

Die Arbeit, die das Standortmanagement leistet, kann eine Hochschule nicht leisten. Es braucht diese Arbeitsgruppe von acht, neun Leuten, die in Vollzeit potenzielle Investoren ansprechen, Verhandlungen mit Immobilienentwicklern führen oder mit der Stadt Fragen der Energieversorgung und Verkehrsanbindung klären. Das ist ein handfestes operatives Geschäft. Das Team der Standortmanagement Golm GmbH agiert sehr erfolgreich, auch jetzt in einer Zeit, in der es wirtschaftlich nicht so gut aussieht. Sie treiben das Projekt Potsdam Science Park konsequent weiter voran, überzeugen junge Unternehmen und Wissenschaftler:innen mit guten Ideen davon, dass Golm für sie der richtige Ort ist – und sie schaffen einen Gemeinschaftsgeist.

„Innovative Ideen sprießen überall in dieser Gesamtregion und es geht insgesamt aufwärts mit der Innovationskraft.“


Derzeit erhält das Standortmanagement für seine Arbeit eine EU-Förderung, die jedoch 2027 endet. Wie kann man das Standortmanagement des Potsdam Science Park langfristig auf ein nachhaltiges finanzielles Fundament stellen?

Das kann nur über öffentliche Förderung erfolgen, das geht nicht allein über private Investitionen. Man könnte allerdings darüber nachdenken, für die in Golm ansässigen Unternehmen eine Nutzergemeinschaft oder Genossenschaft zu begründen, über die alle Mitglieder in einen Topf einzahlen, um das Standortmanagement weiter zu betreiben. Möglicherweise werden wir diesen Weg auch gehen. Dennoch ist es wichtig, öffentliches Geld zu haben, da Wirtschaftsförderung eine öffentliche Aufgabe ist. Daher ist die Frage entscheidend, was Land und Stadt künftig beisteuern werden. Natürlich kann man schon jetzt die Gewerbesteuer gegenrechnen, die sich aus den Ansiedlungen ergibt. Insofern ist es für die Landeshauptstadt Potsdam kein verbranntes Geld, sondern eine Investition in die Zukunft der Region. Adlershof ist da eine interessante Blaupause, die haben lange Geld vom Land Berlin bezogen, bevor es wirklich losging.

Potsdam zählt zu den zehn Städten mit den meisten Start-up-Gründungen in Deutschland, die große Schwester Berlin ist Spitzenreiter. Jetzt wollen sich die Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen Berlins und Brandenburgs zusammentun und die Hauptstadtregion mit der Startup Factory UNITE zu einem internationalen Hotspot für Deep Tech-Gründungen machen. Was hat Brandenburg in diesem Netzwerk zu bieten?

In Berlin gibt es schon seit langem eine gute innovative Deep Tech-Infrastruktur mit zwei und nach der Wende drei großen Universitäten sowie vielen innovativen Fachhochschulen. In Brandenburg war das Bild ein völlig anders. Hier musste man erstmal ein Hochschulwesen gründen und die Idee entwickeln, Brandenburg zu einem innovativen Land zu machen. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Ich bin Vorsitzender des Innovationspreises Berlin-Brandenburg und da hatten wir dieses Jahr wieder 130 Einreichungen von denen ungefähr 30 aus Brandenburg kamen. Das zeigt, dass innovative Ideen überall in dieser Gesamtregion sprießen und es insgesamt aufwärts geht mit der Innovationskraft.

Kann UNITE die Hauptstadtregion wirklich zusammenführen?

UNITE kann eine klammernde Wirkung entfalten. Konkurrenz macht auf so engem Raum ja keinen Sinn. Ein Unternehmen, das sich ansiedeln will, guckt zwar, was Adlershof, Buch, der Potsdam Science Park in Golm oder auch Cottbus zu bieten haben. Aber es gibt genügend Potenzial und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für alle. UNITE wird auf lange Sicht einen wichtigen Beitrag leisten können, um Berlin, Potsdam und in Zukunft auch die Lausitz zu einem großen Gründerraum zusammenzuführen, in dem sich viele innovative Menschen und Unternehmen niederlassen werden.

»Die Wachstumskurve, die wir in den letzten 30 Jahren gesehen haben, wird sich fortsetzen.«


Mit welchen Kompetenzen fügt sich der Potsdam Science Park in dieses Bild ein?

Der Fokus in Golm liegt auf den Naturwissenschaften, den Humanwissenschaften und der Informatik. Das ergibt sich schon daraus, dass auf Seiten der Universität die Mathematisch-Naturwissenschaftliche und die Humanwissenschaftliche Fakultät mit Psychologie, Bildungswissenschaften und Kognitionswissenschaften dort angesiedelt sind. Außerdem gibt es die Fakultät für Gesundheitswissenschaften, die von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) und der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) mitgetragen werden. Das sind die Grundpfeiler, die sehr gut zu dem passen, was die außeruniversitären Max-Planck- und Fraunhofer-Institute beisteuern. Das Standortmanagement achtet darauf, dass Neuansiedlungen, etwa aus den Life Sciences oder der Biotechnologie, dazu passen.

In den nächsten zehn Jahren sollen im Potsdam Science Park rund 100 wissenschaftsnahe Unternehmen angesiedelt werden. Wo sehen Sie den Innovationsstandort Potsdam Science Park im Jahr 2035?

Die Wachstumskurve, die wir in den letzten 30 Jahren gesehen haben, wird sich fortsetzen. Im Augenblick ist die Nachfrage nach Immobilien etwas zurückgegangen, aber ich bin optimistisch. Die Zutaten sind alle da und je enger es in Adlershof und Buch wird, desto mehr spüren wir die Nachfrage nach Immobilien in Golm. Im Potsdam Science Park kommt alles zusammen: Er ist gut erreichbar, sowohl von Berlin und Potsdam als auch vom Flughafen – und er bietet dringend benötigten Raum. Ich denke er wird 2035 wesentlich dichter bebaut sein und es werden wesentlich mehr Menschen in Golm wohnen und arbeiten. Neben Forschungs- und Unternehmensgebäuden wird eine Mischnutzung entstanden sein, vor allem Wohnraum, aber auch eine Infrastruktur für gesellschaftliches und kulturelles Leben. Wir als Universität bauen gerade eine ehemalige Großgarage in ein studentisches Kulturzentrum um. Wir hätten aber gern noch ein paar mehr Kneipen, Restaurants, Konzert- und Kulturorte. Da ist noch einiges zu tun, aber das kommt. Hilfreich sind die Studierendenwohnheime, die gebaut werden, weil sie Leute nach Golm bringen, die hier leben werden.

Auf dem Campus Golm bildet Ihre Universität rund 8.500 Studierende aus – wie sehr bereichert dieser Pool an gut ausgebildeten jungen Talenten die überwiegend mittelständische Wirtschaft in Brandenburg?

Zum Beispiel indem die jungen Leute in ein existierendes Unternehmen hineingehen. Wir bieten einen Matchmaking-Service an zwischen Unternehmen und Absolventen. Im Kontext des Partnerkreises Industrie & Wirtschaft vermitteln wir arbeitsuchende Absolventen an rund 60 Unternehmen. Manche wollen lieber zu großen Unternehmen, andere finden gerade die mittelständische Situation interessant. Im Mittelstand gibt es zudem ein Problem der Unternehmensnachfolge. Ein metallverarbeitender Betrieb kann da auch mal an einen Universitätsabsolventen denken, der Physik studiert und auf so etwas Lust hat. Diese Unternehmen, die schwarze Zahlen schreiben, aber keinen Nachfolger haben, werden zunehmend Kontakt zu uns suchen.

»Wenn die nächste und übernächste Generation in Frieden und Freiheit leben sollen, dann brauchen wir eine leistungsfähige Wirtschaft und eine starke Kultur. Transfer aus der Wissenschaft ist dafür essenziell.«


Die Universität Potsdam wurde im Times Higher Education Ranking 2024 erneut als eine der bedeutendsten Universitäten weltweit eingestuft – in der Gruppe 201 bis 250 von mehr als 2000 Hochschulen – wie wirkt sich ein solches Qualitätszeugnis auf die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts aus?

Für uns als Forschungsuniversität ist es zunächst mal wichtig, dass wir durch solche Rankings international wahrgenommen werden. Generell ist das Interesse von ausländischen Studierenden und Forschenden am Standort extrem hoch. Die Universität hat 16 Prozent internationale Studierende und gerade in Golm dürfte der Anteil der internationalen Nicht-EU-Studierenden deutlich höher sein, vor allem aus Indien, Afrika, Südamerika. In vielen Labs wird Englisch gesprochen und nahezu die Hälfte aller Masterstudiengänge sind auf Englisch. Es kommen Menschen aus der ganzen Welt zu uns. Ein Teil geht danach zurück, andere bleiben und das ist gut so. Sie sind hier hoch willkommen.

Wie kann ein Innovationsstandort wie der Potsdam Science Park dazu beitragen, dass Menschen hier vor Ort in Brandenburg von der Wissenschaft profitieren?

Etwas pathetisch formuliert, geht es darum, für kommende Generationen ein lebenswertes Brandenburg zu schaffen. Wenn die nächste und übernächste Generation in Frieden und Freiheit leben sollen, dann brauchen wir eine leistungsfähige Wirtschaft und eine starke Kultur. Transfer aus der Wissenschaft ist dafür essenziell. Denn aus guter Wissenschaft entstehen Innovationen, die Entwicklung, Unternehmen und attraktive Arbeitsumgebungen schaffen. Man muss nur in die Geschichte gucken, wie schnell wohlhabende Staaten mit schlechtem Management den Bach runtergehen können. Um den Lebensstandard zu halten, brauchen wir innovative Orte wie den Potsdam Science Park.

 

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