Game Changer – „Das ist definitiv kein Lottogewinn“

Das Unternehmen GlycoUniverse hat seinen Sitz im Potsdam Science Park und von hier aus erfolgreich den „Glyconeer“ auf den Markt gebracht, einen Automaten für die Synthese von Zuckerketten, aus denen dann z. B. Impfstoffe hergestellt werden. Wir haben mit Geschäftsführer Mario Salwiczek über seine Erfahrungen als Unternehmer und die vielversprechende Zukunft des Zuckers gesprochen – und dabei einen weit verbreiteten Gründungsmythos entzaubert.

Was macht GlycoUniverse?

Wir machen Zucker, das steckt direkt im Namen. „Glykys“ ist griechisch und heißt „süß“. Lange Ketten aus Zuckerbausteinen sind für die Biologie genauso wichtig wie DNA und Proteine. Aber um untersuchen zu können, muss man sie erst einmal herstellen. Für die manuelle Herstellung einer Zuckerkette mit klassischen chemischen Methoden kann das Monate oder Jahre dauern. Die automatisierte Synthese von Biopolymeren gibt es für DNA und Proteine bereits seit vielen Jahren. Aber für Zucker mit ihrer komplizierten Chemie hat die Wissenschaft etwas länger gebraucht. Das Resultat dieser Arbeiten ist unser Glyconeer. Den füttern wir mit unterschiedlichen Zuckerbausteinen und können dann quasi über Nacht viele Zuckerpolymere – also auch besonders lange Zuckerketten – bauen. Damit lassen sich dann z. B. Vakzine, also Impfstoffe, entwickeln.

Wenn man in so einem Feld arbeitet – trinkt man dann selbst noch Zucker im Kaffee?

Ich selbst trinke meinen Kaffee am liebsten schwarz. Denn, schauen Sie, die Bestandteile des Haushaltszuckers, eine Kette aus zwei Bausteinen, sind für uns bei GlycoUniverse wertvolle Rohstoffe, die wir mit ein paar Modifikationen dann mit dem Glyconeer zu größeren Ketten zusammenbauen können. Die Arbeit in diesem Feld hat mir die Augen für die Welt der Zucker geöffnet. Und diese Welt ist so faszinierend wie das Universum …ansonsten esse ich aber sehr gern Kuchen zum Kaffee.

Was war besonders an der Gründung?

Wir sind eigentlich kein klassisches Start-up, so wie es sich die meisten vielleicht vorstellen. Viele Menschen stellen sich da ja eine Gruppe von Freunden vor, die sich an der Uni treffen und dann gemeinsam eine Idee verfolgen. Bei uns war der Start anders. Die zündende Idee verdankt die Firma Prof. Dr. Peter Seeberger vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Er hatte die Technologie erst am MIT in Boston entwickelt und dann 2013 mit mehreren Aktionären zusammen GlycoUniverse als Kapitalgesellschaft gegründet, die die Idee dann in ein kommerzielles Produkt überführen sollte. Schließlich brauchte es dann jemanden für die Geschäftsführung, das bin in dem Fall heute ich.

Wie haben sich Ihre Aufgaben verändert und wie sieht Ihr Team aus?

Zum Team gehören inzwischen zwei weitere, sehr erfahrene Chemiker, die im Labor arbeiten. Ich selbst bin 2015 zwar als wissenschaftlicher Leiter eingestiegen. Aber seit Juni 2017 kümmere ich mich als Geschäftsführer um die strategischen und geschäftsführenden Tätigkeiten. Im Labor bin ich nur noch sehr selten. Manchmal aber, wenn ich am Schreibtisch ein Problem lösen muss und einen Perspektivenwechsel brauche, betätige ich mich aber gern auch mal handwerklich. So habe ich gestern zum Beispiel an unseren Sicherheitsschränken einige Regale versetzt. Solche kleinen „Pausen“ helfen mir enorm bei der Schreibtischarbeit. Ich bin also von der Seite der Wissenschaft vollständig auf die unternehmerische Seite hinübergewechselt. Das hatte ich mir am Anfang meiner Laufbahn natürlich noch gar nicht vorstellen können. Aber genau das ist wiederum ein typisches Merkmal von Start-Ups – manchmal ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, wenn man dazu bereit ist, etwas Neues auszuprobieren. Gut, sicherlich gibt es da auch Grenzen (lacht). Vermutlich ist es etwas einfacher, einen Wissenschaftler zum Geschäftsführer zu machen als andersrum.

Was war Ihr größtes Learning dabei?

Ich hatte das vorher noch nie gemacht, insofern war ich als Wissenschaftler auf viele Aspekte anfangs gar nicht vorbereitet. Die erste Unsicherheit geht aber tatsächlich irgendwann weg. Beziehungsweise lernt man schnell, auch mit sehr großer Verantwortung umzugehen – das war sicher eine wichtige Erkenntnis.

War bedeutete das für Sie, ein Unternehmen zu leiten, das Sie nicht mitgegründet haben?

Als das erste Gerät entwickelt wurde, war ich nicht dabei. Ich stand deshalb oft vor der Frage: Warum hat man das so gemacht und nicht so? Der Wissenschaftler in mir will eben nicht nur Wissen schaffen, sondern eben auch alles verstehen. Als Geschäftsführer muss ich aber vor allem nach vorn schauen und die Weiterentwicklung macht jetzt umso mehr Spaß. Denn nach den ersten Verkäufen können wir nun das Feedback der Kunden direkt aufgreifen und versuchen umzusetzen. Deshalb freue ich mich sehr drauf, dass wir, wenn die Zeit reif ist, die nächste Generation des Geräts auf den Markt bringen. Es wird vermutlich weniger komplex sein und trotzdem neue Funktionalitäten aufweisen. Es dauert aber noch ein Bisschen.

Im September 2018 sind Sie in den Potsdam Science Park gezogen. Wie war der Umzug?

Also wenn ich ehrlich bin, habe ich mich vor dem Umzug gescheut. Das macht man ja privat auch nicht gern – vor allem nicht mit Gerätepark, Chemikalien und Mitarbeitern. Allerdings bot sich der Standort hier im Potsdam Science Park in Golm aufgrund der Nähe zu den Max-Planck-Instituten an, insbesondere zum Max-Planck-Institut für Kolloid und Grenzflächenforschung, wo Professor Seeberger und sein Team ansässig sind. Vieles kann hier im täglichen Miteinander entstehen, wenn man gemeinsam Mittag essen geht oder sich früh morgens im Zug trifft. Das Rekrutieren fällt mir hier im Science Park natürlich auch leichter, weil ich direkt auf die Experten im Institut zugehen kann – und das sind wirklich nur ein paar Meter.

Sie verkaufen ungefähr eine Handvoll Geräte pro Jahr. Wie findet man da die richtigen Kunden, wenn man so ein spezifisches Produkt herstellt?

Konferenzen sind sehr wichtig. Professor Seeberger ist sehr gut in Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt. Dadurch, dass er seine Forschungsergebnisse regelmäßig auf wissenschaftlichen Konferenzen vorstellt, werden sehr viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf die Technologie und eben auch unsere Firma aufmerksam. Momentan zählen insbesondere Universitäten und Forschungseinrichtungen zu unserem Kundenstamm.

Wie soll es in den nächsten Jahren weitergehen?

Die Technologie ist noch sehr jung. Das Patent stammt zwar aus dem Jahr 2011. Aber erst 2014 haben wir dann das erste Gerät verkauft. Mittlerweile konnten wir zehn Stück verkaufen und haben Anfragen für drei weitere. An jedem Gerät bauen wir einige Zeit. Das Geschäft entwickelt sich gerade gut, trotz Corona-Krise, darüber sind wir froh. Man muss aber in dieser Branche generell Durchhaltevermögen haben. Wir vergleichen das mit dem Markt für DNA- und Peptid-Synthese. Bereits 1964 wurde für Peptide die Automatisierung eingeführt. Den großen „Knall“ gab‘s dann aber erst in den 80ern, also zwanzig Jahre später, als auch die Industrie anfing, die Geräte für die Synthese zu nutzen. Wenn wir also jetzt durchhalten, kann das eine richtig gute Geschichte werden.

Und wie könnte diese Geschichte konkret weitergehen?

Es entstehen gerade ganz neue Bereiche, in denen wir Lösungen beisteuern können: synthetische Zuckerpolymere werden neben der Nutzung in der immunologischen Forschung und Entwicklung zunehmend auch als Biomaterial interessant, sodass die Materialforschung auf diese Technologie aufmerksam wird. Das wäre ein völlig neuer Kundenstamm für uns. Wenn wir neben den Universitäten und Forschungseinrichtungen nun auch mit der Industrie in Kontakt treten können, wird das für uns ein Breaking Point werden. Dann fangen wir an, noch deutlich mehr Geräte zu verkaufen.

Sie meinen, Sie können mit Zuckermolekülen einen Beitrag zu recyclebaren Materialien leisten? Werden uns Ihre Produkte dann auch im normalen Alltag begegnen?

Wo die Reise in der Materialforschung hingeht, ist sicher noch offen. Wie gesagt, wir fangen erst jetzt an, richtig große Moleküle zu machen. Der kürzlich aufgestellte Rekord am MPI, der mit von uns gelieferten Bausteinen aufgestellt wurde, liegt bei 151. Wissen Sie, bei so einer Jagd nach Größenrekorden geht es ja nicht um die Größe selbst, sondern eher darum, die Grenzen einer Technologie zu finden und bestenfalls zu verschieben. Damit schafft man dann die Grundlage für ganz neue Forschungsansätze. Jetzt können wir erforschen, wie wir die Materialeigenschaften von Zuckerpolymeren chemisch beeinflussen können und dann ist der Schritt zu Anwendungen nicht mehr weit. Wie bei DNA und Proteinen werden sicher viele der Anwendungen im medizinischen Bereich liegen. Davon bekommt der Mensch im Alltag oft nur wenig mit, profitiert davon aber enorm. Wie wichtig Kohlenhydrate jenseits der Ernährung für uns Menschen sind, ist vielen ja gar nicht bewusst.

Sind Wissenschaftler besonders skeptische Kunden?

Sie bringen Ihre Skepsis jedenfalls sehr direkt zum Ausdruck. Gerade als ich noch nicht so lange dabei war, kamen sie auf mich zu und haben gefragt: Funktioniert das denn überhaupt? Und ich sagte dann: Ja! (lacht)

Gibt es einen Mythos, mit dem Sie an dieser Stelle gerne aufräumen wollen?

Wenn die Leute „Start-Up“ hören, dann bleibt oft hängen: die haben ein paar Millionen bekommen und sind jetzt stinkreich. So werden solche Erfolge gern dargestellt. Aber das ist definitiv kein Lotteriegewinn, sondern oft entweder Fremdkapital, das einem nicht gehört, oder das Kapital von Anteilseignern, die dafür irgendwann etwas zurückhaben wollen. Das darf man nicht vergessen. Und man muss dann auch Ergebnisse liefern und dafür braucht man einen gewissen Vorschuss. Es dauert etwas länger, bis man von einer wissenschaftlichen Tatsache bei einem marktreifen Ergebnis ist. Und unsere Produkte sind auch etwas anderes als zum Beispiel T-Shirts mit Display (lacht).

Welche Erfahrung aus Ihrem Berufsleben würden Sie anderen gerne mit auf den Weg geben?

Ich gebe gern offen zu, dass ich am Anfang manchmal richtig Angst hatte, eklatante Fehler zu machen – jetzt ist es eher Respekt. Und den sollte man auch behalten. Sonst macht man tatsächlich schnell Fehler, die man nicht wieder gut machen kann und für die man unter Umständen eben auch haftet. Das Wichtigste ist erstmal, durchzuhalten. Nicht gleich aufzugeben, wenn ein Stein im Weg liegt. Ich beiße mich gerne an was fest, bis ich eine Lösung gefunden habe – diese Eigenschaft eines Wissenschaftlers ist definitiv von Vorteil. Ein realistischer Blick auf den Gründungsprozess ist ebenfalls wichtig. Eine Firma zu gründen und zu erwarten, dass man binnen zwei Jahren richtig erfolgreich und reich wird, ist wenig realistisch. Generell kann ich auch dazu raten, viel zu reden – gerade mit Leuten, die Erfahrung haben. Ich zum Beispiel spreche oft auch gezielt mit meinen Aktionären, von denen viele sehr erfahrene Geschäftsleute sind. Das mag ungewöhnlich klingen, aber ich stelle gern auch sogenannte „dumme Fragen“ selbst, wenn ich dabei dumm aussehe (lacht). Wenn man Themen und Probleme offen anspricht, wird einem meistens auch mit der gleichen Offenheit begegnet und man findet gute Lösungen.

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