Game Changer – „Wir haben uns 72 Stunden in einen 40 m² Raum eingesperrt“

Dr. Ina Henkel verarbeitet für TENETRIO essbare Insekten zu Hundefutter. Im Interview erzählt die Unternehmerin und Ernährungswissenschaftlerin, warum ein Bootcamp-Wochenende für das Team genau das richtige war, wie sie den richtigen Hundegeschmack findet und mit welchem Gericht man Menschen davon überzeugt, Mehlwürmer zu verspeisen.

Wie kamen Sie zu den Insekten?

Den ersten Wurm habe ich in Bangkok gegessen. Damals habe ich für ein Projekt in Thailand gearbeitet. Als Ernährungswissenschaftlerin bin ich ja immer offen für Neues, also habe ich auf dem Markt dort das erste Mal Insekten probiert. Natürlich habe ich auch schon davor viel über Insekten und die Rolle, die sie in der Welternährung spielen können, gewusst, aber das war mein erster Berührungspunkt. Später war ich dann in einem Edel-Restaurant in Vietnam. Das war eine viel größere Überwindung, da sie dort pur und nicht etwa frittiert angeboten wurden. Nach dieser Erfahrung wollten wir Insekten als Nahrungsmittel unbedingt nach Deutschland bringen.

Wie sind die Reaktionen der Menschen, wenn Sie Ihnen von Ihrem Geschäftsmodell erzählen? Überwiegt die Skepsis oder die Neugier?

Mittlerweile kennen es die Leute und sind offener. Die meisten haben schon gehört, dass Insekten gesund und proteinreich sind. Trotzdem ist es für die menschliche Speisekarte immer noch Pionierarbeit. Hundebesitzer sind da insgesamt aufgeklärter, sie wissen, was der Hund braucht: Proteine, Vitamine, Nährstoffe – das alles vereint das Insekt. Solange es dem Hund gut bekommt, sind die Hundehalterinnen und -halter zufrieden.

Wann kam die Idee zu dem Unternehmen?

Ich hatte gerade meine Doktorarbeit beendet, war viel auf Dienstreisen in Asien und Afrika. Die Idee, mit einem Unternehmen etwas zu bewegen, war schließlich stärker als der Forschungsdrang. Aber für meine Gründungspartnerin Katrin Figueroa und mich war auch klar: wir brauchen jemanden mit BWL-Kenntnissen. Da kam dann Sabrina Jaap mit ins Spiel. Klar, sich fachliche Kompetenzen reinzuholen war wichtig an der Stelle, aber wir wollten unbedingt zuerst wissen, ob wir drei auch menschlich miteinander klarkommen. So etwas weiß man ja nicht sofort, nachdem man ein Bewerbungs- oder Kennenlerngespräch geführt hat, auch wenn das zunächst super läuft. Für eine junge Firma ist das jedoch ausschlaggebend.

Wie sind Sie vorgegangen, um herauszufinden, ob die „Chemie stimmt“?

Durch eine Art Bootcamp: Wir haben uns 72 Stunden in einen 40qm Raum eingesperrt (lacht). Wir haben gemeinsam gegessen, geschlafen und über unsere Idee nachgedacht. Wir kannten uns bis zu dem Zeitpunkt erst ein paar Wochen und haben dann in der engen Situation gemerkt, dass es funktioniert. Wir haben uns nicht nur sehr gut verstanden, wir konnten auch gut miteinander arbeiten! Erst dadurch konnten wir die gemeinsame Vision formulieren und überlegen, wie wir sie erreichen.

Wie war der Wechsel von der Wissenschaftlerin zur Unternehmerin?

Der Gründungsprozess an sich war vergleichbar mit meiner Laufbahn an der Universität: ein Ziel mit vielen kleinen Etappen. Neben dem Fachwissen mussten wir uns allerdings noch das ganze Wirtschaftswissen erarbeiten. Gefühlt haben wir wirklich jeden Abend Kurse über Finanzplanung etc. gemacht. Der Austausch mit den anderen Gründern war da auch sehr wichtig. Zwar hatten wir uns bisher ein wissenschaftliches Netzwerk aufgebaut, doch da fingen wir dann wieder bei null an.

Ab wann hatten Sie das Gefühl, dass es gut läuft?

Zuspruch für unsere Idee hatten wir von Anfang an. Als sich gewisse Sachen, wie z. B. das Customer Relationship Management professionalisiert haben und wir bestimmte Aufgaben auslagern konnten, da fühlte es sich an, als wären wir auf einem guten Weg.

Ist das Team inzwischen gewachsen oder meistern Sie alle Herausforderungen weiterhin zu dritt?

Mittlerweile besteht unser Team aus sechs Mitarbeiter*innen. Wir sind zu einer festen Einheit zusammengewachsen und haben z.B. Unternehmenswerte gemeinsam definiert. Jedes Teammitglied hat die Chance, unsere Vision mitauszugestalten. Das ist uns als Gründerinnen sehr wichtig und wird von den Mitarbeiter*innen geschätzt.

Züchten Sie die Insekten eigentlich selbst?

Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, das Know-how für die Insektenzucht inhouse zu halten. Insbesondere für das Qualitätsversprechen an unsere Kunden war uns das sehr wichtig. Die anfängliche Mehlwurmzucht im Labormaßstab konnten wir über die Zeit skalieren. Ein Sammeln von Insekten nicht in Frage, weil wir standardisierte Prozesse brauchen, um die gewünschte Qualität zu wahren.

Gibt es Insekten, die man geschmacklich einfach nicht hinbekommt?

Von den derzeit ca. 2000 beschriebenen essbaren Insekten habe ich selbst nur wenige Insektenarten verspeist. Dazu zählen die aus meiner Sicht mittlerweile in Europa gängigen wie Heuschrecke, Grille, Mehlwurm und die schwarze Soldatenfliege. Aber auch die Mopaneraupe oder den Sagowurm durfte ich bereits verspeisen. Letzterer war nicht mein persönliches Highlight, aber durchaus interessant in Konsistenz und Geschmack.

Wie sind Sie eigentlich auf den Markennamen gekommen?

Der erste Teil des Markennamens TENETRIO geht auf die lateinische Bezeichnung für die Mehlkäferlarve, Tenebrio molitor, zurück. Das TRIO ergibt sich aus der Tatsache, dass wir drei Gründerinnen sind, dass der Mehlwurm nutritiv betrachtet das Beste aus Rind (Protein), Fisch (mehrfach ungesättigte Fettsäuren) und Gemüse (Vitamine und Mineralstoffe) vereint und dass der Mehlwurm drei Entwicklungsstadien durchläuft.

Was hätten Sie gern anders gemacht oder zumindest gerne schneller gelernt?

Outsourcing! Auch wenn es erstmal mehr kostet, man hat langfristig etwas davon. Man kann schließlich nicht alles lernen. Wir hatten z.B. auch den Online Shop in Eigenregie erstellt. Das hat zwar geklappt, aber es gibt einfach Leute, die kennen sich da viel besser aus und sind mit so etwas auch schneller, das spart Ressourcen. Genauso verhält es sich beim Thema Verpackung. Wir müssen also nicht jeden Prozess selbst machen.

Wer sind ihre Kunden: die Besitzer oder die Hunde?

In erster Linie verkaufen wir das Produkt an die Besitzer. Wenn Herrchen oder Frauchen sich vor Insekten ekelt und das Futter nicht gern an den Hund weiterreicht – das bekommt der Hund mit, die sind ja hochsensibel – dann bleibt auch der leckerste Snack liegen.

Wie treffen Sie den richtigen Hundegeschmack?

Wir haben sehr viel mit den Kunden kommuniziert: Hundeschulen, Hundevereine, Besitzer, Besitzerinnen – wir haben alle gefragt. Interessant für uns sind besonders auch die Tendenzen, die Frauchen und Herrchen beobachten. Das heißt: der Hund frisst das Futter und die Snacks in vielen Fällen schon, aber manchmal eben nicht so gerne wie andere Sachen. Solche Details können nur die Besitzer erkennen.

Wie läuft so eine Verkostung konkret ab?

Wir legen da zum Beispiel Produkte mit 20 verschiedenen Kräutern auf eine Matte und dann läuft das eigentlich wie bei „Vier gewinnt“ und wir notieren uns, was am häufigsten und am schnellsten gefressen wird. Manche Hunde laufen da allerdings auch vorbei wie ein Staubsauger und nehmen alles, was sie kriegen können (lacht)!

Was ist die größte Herausforderung auf dem Markt?

Die Aufklärung über essbare Insekten als nachhaltige Alternative zu herkömmlichen tierischen Proteinen. Eine Esskultur entwickelt sich über Jahrzehnte. Beispiel Sushi: Hätten wir unseren Großeltern in den fünfziger Jahren erzählt, ihr werdet mal beim Discounter (!) rohen Fisch essen, dann hätten die gesagt: auf keinen Fall!

Sind Insekten langfristig auch für Menschen eine Alternative?

Für mich ist es derzeit sehr erfüllend, die Snacks aus Insekten für den Hund herzustellen. Dadurch lerne ich sehr viel über die Anwendungsfelder – Wissen, das ich später auch in die Ernährung für den Menschen miteinfließen lassen kann. Diese Unsicherheit, was noch kommt und was sich noch ergeben könnte, treibt mich als Unternehmerin an. Ich vergleiche Hundeernährung oft mit Kinderernährung – Hunde sind ja oft Kind- oder Partnerersatz. Dieses Bedürfnis im Kunden zu stillen, der ja nur das Beste für seinen Liebling will, das ist herausfordernd und erfüllend.

Bei den Hunden werben Sie mit dem „Wau-Effekt“ – was würden Sie auf den Teller legen, um einen Menschen zu überzeugen?

Meine Familie konnte ich damals mit einer Mehlwurm-Quiche überzeugen. Das ist ein bisschen so wie „Ich nehme den Speck weg und mache dafür die Würmer rein“. Man sieht den Wurm zwar, aber nicht ganz so prominent, wie wenn man ihn frittiert oder in der Pfanne brät. Manche bevorzugen auch Riegel, in denen Insekten dann nur als Pulver verarbeitet sind. Aber: Bei einem Insekten-Burger habe ich einfach so schnell diese Schranke im Kopf. Das vergleicht man zu schnell mit dem Rinderburger, wie man ihn kennt. Und das ist dann auch die Referenz, an der das Produkt immer gemessen wird. Mir ist es deshalb wichtig, etwas Eigenes und Neues zu schaffen.

Haben Sie noch einen Tipp für junge Gründer*innen?

Nicht im stillen Kämmerlein an der Idee festhalten! Es ist wichtig, dass auch andere die Idee mitgestalten und weiter voranbringen können. Durch jedes Gespräch habe ich etwas dazu gelernt. Und für mich auch ganz wichtig: mit Kopf, Herz und Bauch entscheiden – diese drei sollten möglichst im Einklang sein.

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