Game Changer – „Die Vorstellungen liegen irgendwo zwischen Magie und Terminator“
Parlamind setzt auf eine Technologie, die Arbeitsabläufe im Kundenservice automatisiert. Mitgründerin Dr. Tina Klüwer erzählt im Gespräch, was sie an der Gründerszene schätzt, wie sie mit Vorurteilen über Künstliche Intelligenz fertig wird und inwieweit Maschinen Menschen ersetzen können.
Was hat Sie gereizt, nach vielen Jahren in der Forschung ein Unternehmen zu gründen?
Es ist erstmal eine ziemlich spannende Sache, ein Unternehmen zu gründen! Man hat mit völlig anderen Menschen zu tun, die die Welt ganz anders wahrnehmen. Es sind einfach zwei ganz unterschiedliche Welten. Ich habe zehn Jahre lang geforscht, bevor ich dann in die Gründerszene eingetaucht bin. Die vielen energiegeladenen Menschen, die Lust haben, viel zu bewegen und sich einzubringen. Das hat mir schon ziemlich gut gefallen!
Wie unterscheiden sich diese beiden Welten aus Ihrer Sicht, also das Unternehmertum von der wissenschaftlichen Forschung?
In der Wissenschaft kratzt man ja gewissermaßen an der Oberfläche, also man geht punktuell weit in die Tiefe, kommt aber nie dazu, ein holistisches System zu bauen, was wie in unserem Fall z. B. reale Bedürfnisse bedienen und befriedigen kann. In der Wissenschaft ist es auch oft so, dass es eine Projektlaufzeit von 2-3 Jahren gibt, in der man einen bestimmten Aspekt erforscht und danach ist erstmal Schluss. Es ist nicht immer gegeben, dass es ein Anschlussprojekt gibt, mit dem man auf dem erarbeitetem Wissen aufbauen und diese Arbeit weiterführen kann. Ein Unternehmen zu gründen und ein Produkt zu bauen ist das komplette Gegenteil davon: Man baut etwas nahezu in Perfektion und hört nicht schon nach einem Drittel auf, um etwas anderes zu machen, was irgendwie ähnlich ist.
Wie kamen Sie dann darauf, sich mithilfe Ihrer Technologie ausgerechnet mit Kundenservice-Kommunikation zu beschäftigen?
Diese Entscheidung haben wir als vierköpfiges Gründungsteam getroffen, das hatte auch mit dem Businessaspekt unserer Technologie zu tun. Beim Kundenservice geht es oft um wiederkehrende Kommunikation. Unsere Anwendung wird darauf trainiert zu verstehen, was Kunden geschrieben haben, z. B. per E-Mail oder im Chat, und das ist ein dankbarer Nährboden für eine Anwendung, wie wir sie bereits vor der Gründung entwickelt hatten.
Was war der erste wichtige Meilenstein?
Das Projekt mit dem computerlinguistischen Institut in Potsdam Gold hat uns dann zwei Jahre lang die Möglichkeit gegeben, die Grundlagen für unsere Technologie zu erforschen und das Unternehmen aufzusetzen. Dabei sind wir sind ein Risiko eingegangen, ich habe z.B. meinen Job an der FU gekündigt, um mich voll und ganz auf den Antrag und das Vorhaben konzentrieren zu können. Dadurch, dass ich selbst gekündigt habe, hab ich natürlich kein Arbeitslosengeld bekommen und musste auf Erspartes zurückgreifen.
Wann wussten Sie, dass Ihr Produkt reif für den Markt war?
Das findet man nur gemeinsam mit den Kund*innen heraus. Besonders für uns als KI-Unternehmen ist das relevant. Denn wir bieten, genauso wie andere KI-Unternehmen, ein Produkt an, das es vorher so nicht gab. Dafür brauchen wir einen ganz anderen Zugang zum Markt als das bei bekannten Softwareprodukten der Fall ist wie z. B. mit einer Office-Anwendung. Bei der weiß ich genau, wie sie sein muss, welche Features vergleichbare Produkte bieten, was Kund*innen erwarten und wie sie das Produkt einschätzen. Bei uns ist das überhaupt nicht so. Wir kommen zu Kund*innen und erzählen: Wir haben eine Software, die bestimmte Vorgänge automatisiert. Das sagt vielen erst einmal gar nichts, die meisten hatten keine Vorstellung, was unsere Software kann oder nicht kann. Und so liegen die Vorstellungen irgendwo zwischen Magie und Terminator. Sie denken: entweder muss ich den Computer nur einschalten und alles geht automatisch wie von Zauberhand oder ich schalte ihn ein und die Technologie ist total gefährlich, destruktiv und verschenkt z. B. Daten an Externe. Gerade das Label „Künstliche Intelligenz“ hat uns die Sache am Anfang besonders schwer gemacht.
Was heißt das für die Vermarktung Ihres Produkts?
Was uns mit vielen anderen Unternehmen verbindet, die auch etwa 2015 mit dem Fokus auf Künstliche Intelligenz gestartet sind, ist die Tatsache, dass wir viel Aufklärungsarbeit und allgemeine Bildung leisten müssen. Dadurch bereiten wir mit anderen den Markt, den es vorher so nicht gab und der sich jetzt erst bildet. Es dauert, bis die Menschen verstehen, was die wirkliche Leistung unseres Produktes ist. Das ist spannend und zeitaufwändig zugleich. Es gibt auch Branchenvertreter*innen, die sagen, man solle den Begriff KI gar ganz meiden, weil es die Sache nur noch schwieriger macht.
Und was sagen Sie dann stattdessen?
Wir nutzen inzwischen vermehrt den Begriff „Automatisierung“. Dass sich dahinter Technologien mit künstlicher Intelligenz verbergen, stellen wir in der Kommunikation also eher in die zweite Reihe. Der Terminus „Künstliche Intelligenz“ ist in Deutschland ohnehin schwierig. Alleine die Bedeutung von Intelligenz ist im Deutschen eine ganz andere als im Englischen, bei uns geht es dann oft um die menschliche Komponente, während der Begriff im Englischen ja z. B. auch bei Geheimdiensten verwendet wird mit einer ganz anderen Konnotation.
Eine große Sorge ist ja auch immer, dass durch künstliche Intelligenz Jobs verloren gehen. Was erzählen Sie den Menschen, die das glauben?
Das ist eine vorherrschende Angst, die ich für unbegründet halte und die die Diskussion mit den Kund*innen auch sehr schwer macht. Viel wahrscheinlicher finde ich, dass sich die Art zu arbeiten in den kognitiven Aufgaben verändern wird. Wir setzen unser Produkt ja dafür ein, die menschlichen Mitarbeiter*innen zu unterstützen und ihnen Arbeit abzunehmen – und zwar die wiederkehrende, monotone Arbeit. Die Mitarbeiter*innen im Kundenservice haben nämlich einen Knochenjob, das sieht man auch am Krankenstand und der Fluktuation in der Branche. Im Kundenservice gibt es Aufgaben mit unterschiedlicher Komplexität und viele Anfragen von Kund*innen wiederholen sich: Wo ist mein Paket, wie läuft die Rückzahlung? Wir können den Mitarbeiter*innen so etwas dann anzeigen und sie zum Beispiel warnen, bei einer wütenden Anfrage. Dann kann man sich schon mal wappnen! (lacht)
Sie sehen also keine Gefahren für die Menschen, die von künstlicher Intelligenz ausgehen können?
Zuallererst sind Menschen soziale Wesen. Deshalb geht auch das Sozial-Sein des Menschen nicht weg, ganz unabhängig davon, wie die maschinelle Unterstützung konkret aussieht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Menschen dadurch nicht weniger sozial oder kommunikativ werden, es wird nur an anderer Stelle passieren. Denn Menschen sind da gut, wo Maschinen es nicht sind und umgekehrt.
Es ergibt also keinen Sinn, eine Maschine zu bauen, die einfach so ein emotional-empathisches Gespräch führt, denn darin sind Menschen ziemlich gut. Es ergibt aber Sinn, eine Maschine zu bauen, die 10.000 Zeitungsartikel liest, um die am häufigsten erwähnten Nomen herauszusuchen, denn darin sind Menschen wohl eher schlecht! (lacht) Ich sehe da keine Bedrohung für die ureigensten menschlichen Eigenschaften.
Kontakt
Karen Esser
Referentin PR & Kommunikation
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